Alle machen Ferien, nur die Plattenkiste Juli 2023 kommt so richtig in Fahrt! Ich bleibe wohl dabei, dass ich nur die neuen Releases vorstelle, obwohl es Gründe gibt, noch mal darüber nachzudenken.
Ganze 10 Releases umfasst die Plattenkiste Juli 2023 diesmal. Und da seht ihr nicht mal, was sich hinter den Kulissen abspielt. Denn inspiriert von einer Unterhaltung mit einem Freund warf ich einen Blick auf die Releases, die Uwe Schmidt aka Atom Heart aka Atom TM und Peter Kuhlmann aka Pete Namlook veröffentlicht haben. Die sind auf Pete Namlooks Label Fax Records erschienen und haben einen hohen Sammlerwert. Nachdem uns Pete Namlook verlassen hat, remasterte Uwe Schmidt die Werke und brachte sie neu heraus. Das Ergebnis: 8 neue Releases in der Sammlung, die aber schon aus dem Raster fallen, weil sie nicht „neu“ sind. Unseren Unterhaltungen folgten meistens größere Datenpakete. Und deshalb habe ich auch noch Nachholbedarf im Bereich Orb und Frankfurter Hardcore Anfang der 90er.
Wenn ich daran denke, dass ich es noch vor 15 Jahren geschafft habe, meine Sammlung einmal im Jahr durchzuhören, kommt das jetzt in den Bereich der Unmöglichkeit, denn ich komme nicht mal mit dem hinterher, was sich bei mir am Eingang staut. Da liegt noch so ein 50er CDR-Rohling-Stapel mit echten CDs, die ich aus einer Sammlungsauflösung für 5 Euro ergattert habe und noch etliche der alten Netlabel-Releases.
Arovane – Seismograf
Ich bin ehrlich. Hätte Arovane dieses Album nicht gratis ins Netz gestellt, ich hätte es mir nicht geholt. Qualitativ gibt es nichts daran auszusetzen, aber der Stil ist mir zu ruhig. Mein letztes Album Lilies ist von 2004 und danach „trennten sich unsere Wege“. Uwe Zahn begann abstrakter zu werden, für meinen Geschmack zu wenig greifbar.
Aus der Beschreibung zur Seismograf entnehme ich, dass diese Tracks immer einen Kontext haben. Wenn ich zum Beispiel an den Song denke, der auf Ibiza beim Sonnenuntergang lief, würden diese Klänge an einem Wintertag ganz anders klingen. Und ich denke Uwe Zahn will mit diesem Album genau das erreichen. Man muss den richtigen Kontext zu dem Track kennen, erst dann erschließt sich das komplette Szenario.
Wie schon gesagt, ist es Ambient und sehr minimalistisch. Letztes waren seine Alben eigentlich schon immer. Arovane hat schon immer sehr viel Wert auf Sounddesign gelegt. So ist ein Album entstanden, was dem Hörer verborgene Momente erschließen soll. Also grundsätzlich schon mal ein Album, auf das man sich einlassen muss, da es sonst nicht funktionieren wird.
John Beltran – Serendipia
Serendipia ist das spanische Wort für Serendipität, wobei die englische Entsprechung serendipity wohl geläufiger sein dürfte. Diese unglaublich verkrampft klingende deutsche Übersetzung bezeichnet das Ereignis, wenn man nach etwas sucht, aber etwas anderes, neues entdeckt. Etwas allgemeiner könnte man es als glücklichen Zufall bezeichnen, aber das trifft es nicht.
Jetzt kenne ich ja die Musik von John Beltran zur Genüge. Genau deshalb hat mich sein neues Album überrascht. Es erschien ungefähr zu der Zeit, wo wir von Ibiza zurückkehrten. Damit trifft es mit seinem Sound genau die Stimmung von dort. Serendipia hat mehr Band/Orchester-Charakter, ohne seine elektronischen Wurzeln zu verleugnen. Um wieder zum Café del mar zurückzukommen, waren die ersten Compilations ja auch mehrheitlich genau in diesem Stil gehalten.
Vielleicht ist es ja genau diese Serendipität, wo sich John Beltran auf die Suche machte, um einen entspannteren Sound zu finden, balearische Einflüsse mit aufzunehmen und sich dabei ihm eine komplett neue Welt öffnete, wie man Musik denken kann. Natürlich würde ich es gut finden, wenn er auch wieder zu seinem alten Sound zurück findest, aber so als Sommeralbum ist es perfekt!
In Order To Dance 4.0
Beginnen wir mal in den 90ern – R&S Records war Anfang der 90er ganz vorn mit dabei, wenn es um Klassiker der damaligen Zeit ging. Und seinerzeit hieß die Labelschau noch Order To Dance – Befehl zu tanzen. Jetzt haben wir das neue Jahrtausend schon lange hinter uns gelassen und R&S gibt es immer noch. Und R&S bringt immer noch Labelcompilations heraus, nur dass sie jetzt In Order To Dance 4.0 (Um zu tanzen) heißt.
Wie es sich für ein Label mit einem breiten Spektrum so gehört, geht stilistisch sehr viel. Deswegen beginnt die Compilation sehr barkeresk. Der zweite Track von Paul Roux erinnert mich an Tycho, aber auch ein bisschen Sigur Ros und dann kommt stolpernde Breakbeat dazu. Sehr interessant. Track #3 reißt mich raus – ja, Rap und elektronische Musik geht, aber der Fluss scheint unterbrochen, vielleicht hätten Track 3 und 4 tauschen sollen.
Mit Track 5 wird es deeper, wechselt dann in den Technobereich, um bei Track 10 im Drum & Bass zu landen. Fehlt nur noch Electro, den wir mit dem letzten Track zu hören bekommen. Also in Summe 13 Songs unterm Strich sehr hochwertig, sehr rave-betont und definitiv der Sound einer neuen Generation.
Trance Trax Vol. 3
Hooj Choons sind schon eine Hausnummer. Das Label gibt es schon seit den frühen 90ern. Den Partyrentnern dürfte Felix mit Don’t You Want Me von 1992 noch geläufig sein – original erschienen auf Hooj Choons, später großflächig durch deconstruction verteilt. Später bekannt, dass sie Café del mar mit dem Three’N’One Remix neu belebt haben. Es gibt heute nicht wenige, die diesen Remix für das Original halten. Außerdem lizensierten sie viele Tracks von L.S.G. Und um es abzuschließen – Nalin & Kane – Beachball.
Damit gut – wenn Hooj Choons eine Compilation veröffentlichen, die sich ganz simpel und trotzdem so unglaublich treffend Trance Trax #3 nennt, dann muss man zuhören! Los geht es mit Jaydee, der Mann, der uns Plastic Dreams brachte. Das ist ein Track, der mich zum Nachdenken bringt. Das ist doch House?! Trotzdem hat es monotone, treibende Phasen, die mich über Hardtrance nachdenken lassen. Hansgod lasse ich mal so stehen, Progressive House und damit ein schöner Übergang. Glenn Morrisson macht da weiter, bringt aber noch Goa-Elemente dazu.
Und dann bleibe ich stehen – Snubbelrisk. Ich warte ja immer noch auf das Album zu Chris Zippels Hyperion Rising. Dieser Track ist in Aufbau und Klang Chris Zippels Song so ähnlich, wie damals Ultra-Sonic und Scooter. Dummerweise habe ich keine Zeit, denn ich bleibe schon wieder hängen. Love Stimulation – ehrlich jetzt? Aber ich ziehe den Hut. Der Track bleibt beim Original, zieht ihn aber in die zweite Dekade des neuen Jahrtausends und feiert den Titel gewaltig ab. Von daher keine Blasphemie, sondern eindeutig tief religiöses Bekenntnis.
Trotzdem lässt die Compilation mir keine Ruhe. Wenn ich denke, da geht nichts mehr, packt sie als letzten Track noch einen Remix von Sacred Cycles oben drauf. Und der lässt auch keine Wünsche offen. Wer dann jetzt noch alle Tracks zusammen feiern will, darf sich über den Continuous DJ-Mix freuen. Denn da gibt es noch als kleines Extra ein paar deutlichere Wortfetzen aus dem Interview (war es Salvador Dali?) zu hören, als im Original.
Soma Coma 8
Wo ich gesehen habe, dass es die neue Soma Coma 8 gibt, freute ich mich. Aber ich war mir nicht mehr ganz sicher, wann ich die letzte Version davon geholt habe. Wie so oft, kann es ja sein, dass ich einige Ausgaben verpasst oder übersprungen habe. So aber nicht bei der Soma Coma 8. Deren Vorgänger erschien tatsächlich vor fünf Jahren und seit dem gab es keine neue Ambient-Compilation auf Soma.
Die Soma Coma 8 kommt mit vierzehn Tracks, die zwischen brummig dröhned, leicht schwebend und frisch perlend sich größtenteils im Ambientbereich bewegen. Natürlich gibt es hier und da einige Ausreißer, aber das Credo der Compilation ist klar – Ruhe!
Monolake – Hongkong
So langsam komme ich an die Grenzen der Plattenkiste. Das hat nichts mit Kapazität zu tun, sondern mit der konstanten Flut an remasterten Werken, die seit Beginn der Pandemie über mich schwappt. Diesmal ist es ein Klassiker, der auf Chain Reaction im Original erschienen ist. 1997 erschien da das erste Album Hongkong von Monolake und setzte damit einen Meilenstein im Bereich Dub-Techno.
Bereits 2008 und 2017 brachten Monolake eine verkürzte Version ihres Klassikers neu heraus. Aber erst jetzt hatte sich mit Field Records ein Label gefunden, dass alle sieben Tracks neu veröffentlicht. Wohlgemerkt nur digital und auf Vinyl.
Robert Henke und Gerhard Behles bildeten damals Monolake. Beide sind Informatiker und besuchten 1996 die Computer Music Conference in Hongkong. Dort machten sie einige Field Recordings und ließen diese mit in diese Platte einfließen. Sie entwickelten schon damals ihre eigene Software und mit den Erkenntnissen aus Hongkong entstand die wohl bekannteste DAW – Ableton Live.
Aphex Twin – Blackbox Life Recorder 21f / In A Room7 F760
Ich muss zugeben, dass ich seit der Syro (2014) versuche, von Aphex Twin loszukommen. Aber fassen wir mal zusammen. Betrachtet man seine Historie, liegen zwischen I Care Because You Do… (1995) und RDJ’s Album (1996) Welten. Dann kam die sperrige Drukqs (2001) und mit den 26 Mixes For Cash (2003) glaubte ich schon an den Abgesang.
Als die Analord-Serie (2005) begann, war ich überrascht, denn das war wirklich was Neues. Aber gefühlt seit dem bewegt sich gar nichts mehr. Alles läuft auf das Schema Breakbeat plus analoge Synths hinaus. Von daher sah ich dem Erscheinen der Blackbox Life Recorder skeptisch entgegen. Zumal die limitierte Ausgabe mit 25 Euro (ohne Versand) sich schon dem Bereich näherte, was man als Sammler bei discogs zahlt.
Dazu kommt noch, dass es vier Titel sind, die es gerade mal auf ca. 15 Minuten Spielzeit bringen. Auch das Artwork bewegte mich nicht mehr. Wer sich an meinen Mandelbulb 3D-Beitrag (2010) erinnert, wird schnell Parallelen dazu finden. Also ließ ich den Release wirklich erst mal liegen.
Am Release-Tag entdeckte ich jedoch, dass im Warp-Store von Aphex Twin die Veröffentlichung um vier weitere Tracks erweitert wurde, schlug ich zu. Denn AFX gab sich die Ehre die Tracks selbst zu mastern und ihnen damit ein ganz anderes Finish zu verpassen, was man auch sehr deutlich hört. Mich würde mal interessieren, wie die ungemasterten Songs klingen, denn gefühlt wirken sie wohlgefällig, weil der Bassregler ordentlich nach oben geschoben wurde. Also warte ich auf den nächsten Release, um endlich damit aufzuhören.
nthng – There Is A Place For Me
Auf nthng bin ich damals gestoßen, weil ich den trancigen Sound mochte. Und nachdem letztes Jahr bereits eine großartige EP auf Delsin erschien, war ich überrascht, dass jetzt das neue Album There Is A Place For Me auf Transatlantic erschien. Es war doch noch gar nicht so lange her…
nthng ist immer für eine Überraschung gut. War das letzte Album mir doch zu ruhig, gefällt mir das neue Album ausgesprochen gut. Ähnlich wie schon die Sub-Sonar bewegt sich das Album verträumt, aber mit unterschiedlichen Beats. Es geht komplett ohne Beat, Downtempo, Breakbeats, nur 4/4 wird man auf diesem Album vergeblich suchen.
Wer damals von L.S.G. das Album Into Deep gut fand, wird sich auf der There Is A Place For Me wiederfinden. Und so wie ich es schreibe, wird mir das Wortspiel des letzten Satzes bewusst. nthng hat sich seinen musikalischen Platz gesucht und gefunden. Um PeterLicht zu zitieren „Wo ich bin, da kann kein anderer sein“. Von daher finde ich Ähnlichkeiten zu anderen Werken gut, aber auch eine klare Abgrenzung.
maXIon – Curvatures
Jetzt bin ich mal wieder die Releases von Shall Not Fade durchgegangen. Ja, ich überspringe dabei gerne die EPs, da bin ich mittlerweile etwas eigen geworden. Da muss mir ein Track schon besonders gut gefallen. Aber zwischendrin tauchte das Album Curvatures von maXIon auf. Der Name war mir geläufig, den hatte ich letztes Jahr mal mit seinem Release auf Nativ Records.
Jetzt ist dann doch die Zeit noch mal das Thema Album aufzugreifen. Alben sind immer eine Reise. Durch ein Thema, ein Konzept oder was auch immer den Künstler angetrieben hat. Besonders gut finde ich, wenn man den Fluss des Albums spürt. Es ein deutliches Intro und Outro gibt.
Mit Inception legt maXIon schon mal gut vor, der Track schwebt schön vor sich hin, sodass man auf alles vorbereitet ist. Und Elara greift das Schweben ab und legt noch einen tanzbaren Beat darunter. In dem Stil bleibt das Album auch. Und da momentan alles Melodic ist, wäre das dann Melodic House. Bis zum Schluss, wo The Time We Had kommt, was aber kein richtiges Outro ist. Bei der digitalen Ausgabe kommen noch drei Radio Edits von Elara, Memories und Scalar dazu.
Conforce – Sins Of Synthesis
War der Kauf der Sins Of Synthesis eine Verzweiflungstat? So richtig sicher bin ich mir nicht. Wo ich die Musik von Conforce vor ca. 10 Jahren entdeckte, war ich von dem Deep Space Techno begeistert. Im Laufe der Zeit begann Boris Bunnik sein Alter Ego Versalife wieder zu beleben. Und damit kam der Aspekt des Electro wieder zum Vorschein.
Nur Stück für Stück begann Versalife in die Welt von Conforce einzudringen. Jetzt ist hier ein Hybrid entstanden, der sowohl mit harschen Beats um sich schlägt, aber gleichzeitig eine entspannte Atmosphäre verbreitet. Und damit erinnert er mich ein bisschen an den Mitt-90er Aphex Twin. Nur wenn ich halt Aphex Twin hören will, muss ich nicht Conforce hören. Aber andererseits ist es doch schön. Also weiß ich nicht so richtig, wie ich die EP einordnen soll.