Ich rede immer davon, dass ich meinen Konsum reduziere, aber wenn ich auf die Plattenkiste Dezember 2022 schaue, sieht das immer noch nicht wenig aus. Das mag wohl daran liegen, dass auch diesen Monat viel altes Zeug dazugekommen ist.
Dazu erst mal ein Geständnis. Seit 2019 von Wolfgang Voigt die Earquake erschienen ist, liebäugle ich mit dieser 303 Titel umfassenden Sammlung. Kaufen kann man diese komplett als USB-Stick oder einzeln über den Webshop bei Kompakt. Nur, dass jeder Titel genau einen Euro kostet bzw. der Stick für 303 Euro verkauft wurde.
Also kam der Stick auf meine Wantlist bei discogs und ich wartete. Irgendwann dieses Jahr tauchte eine Ausgabe für 222 Euro auf. Die fiel im Laufe des Jahres auf 202, dann auf 200. Kurz vor Weihnachten gab sich der Verkäufer noch einen Ruck und senkte den Preis auf 170 Euro. Immer noch eine stolze Summe. Aber ich habe mal geschaut: Das sind knapp 1,5 Tage Musik non-stop! Wenn ich hochrechne, wie viele Alben ich kaufen müsste, um auf die Zeit zu kommen… Ja, ich hab ein Schnäppchen gemacht! Natürlich will die Musik auch sortiert und gehört werden und das bremst mich gerade etwas aus.
Gradient – Dub Ornaments
Die Dub Ornaments von Gradient lag auch schon lange in meiner Wantlist, bis sie endlich erschienen ist. Gradient ist Igor Arsenjev. Er war mit seiner EP einer der letzten Releases auf Thinner. Natürlich hat er viele Dub-Alben und EPs veröffentlicht, aber merkwürdigerweise haben davon nur wenig davon in meiner Sammlung Platz gefunden.
Gradient macht keinen großen Schnickschnack mit seiner Musik. In Anlehnung zum Album heißen die Titel Ornament 01 bis 10. Die Musik läuft und wie der Nebel in einem Tal am Morgen entsteht eine mystische Faszination aus grauer Masse und purer Schönheit. Einerseits ist die Musik monoton ohne wesentliche Änderungen, aber gleichzeitig ist das die Essenz. Denn so fokussiert man sich viel stärker auf die kleinen Veränderungen.
John Shima – The Empty Lands
Es kommt sehr selten vor, dass junodownload.com Rabatte anbietet. Aber wenn es soweit ist, sollte man bereit sein, zuzuschlagen. Ich stöberte etwas ratlos herum. Aber genau in dieser Zeit erschienen die Twelve 1+2 von Morphology auf Firescope. Nachdem ich letztes Jahr von den Alben von Steven Rutter und Derek Carr so begeistert war, hörte ich genauer rein.
Die beiden Twelves gefielen mir nur so mittelmäßig, dafür war ich von The Empty Lands von John Shima extrem begeistert. Dieser Techno war sehr deep. Ich finde es schon sehr erstaunlich, dass Steven Rutters Label so schön unter dem Radar fliegt. Was hier erscheint, ist schlichtweg brilliant. Vielleicht gefällt es mir, weil es neu ist, aber unterm Strich doch auch sehr nach frühen 90er Jahren klingt. Und nachdem ich so angetan war, legte ich gleich noch den Vorgänger The Lonely Machine mit in den Warenkorb.
GGGG – Gaze
Wie gesagt, ich stöberte bei Firescope und entdeckte Gazé von GGGG. Bei solchen Namen werde ich skeptisch. Steht das für irgendwas oder wurde hier Einfallslosigkeit als künstlerische Freiheit deklariert. Fakt ist, dass ich sofort mit dem ersten Titel gefesselt war. Wer die Alben von Gimmik oder Abfahrt Hinwil mag, findet sich hier definitiv wieder.
Jetzt war ja Abfahrt Hinwil schon sehr Aphex-lastig. Und Gimmik doch etwas wilder. Aber irgendwie gefällt mir die Referenz darauf. Weil das Konzept ähnlich ist, auch wenn das Album um Längen ruhiger ist und unterm Strich richtig schmusiger IDM dabei herauskommt. Über alledem trohnt eine Katze, die auf dem Cover aus den Tiefen des Weltalls auf uns herabblickt und uns mit ihrem grimmigen, aber wachen Blick beobachtet.
Solah – King
Makoto, Bcee, Pola & Bryson – so sieht aktuell die Bilanz für Solah in meiner Musiksammlung aus. Wie ich schon bei Charlotte Haining der Meinung bin, wird den Stimmen des Drum & Bass zu wenig Bedeutung beigemessen. Deswegen finde ich das Album King von Solah auf Hospital Records nicht nur schön, sondern auch wichtig.
Wobei ich mich dann jetzt doch schon frage, wer dann hinter der Musik steht? Oder findet gerade ein Paradigmenwechsel statt? Ist es nicht mehr Makoto feat. Solah, sondern Solah feat. Makoto? Um aus der Spekulation einen Fakt zu machen, steht bei diesem Album Halogenix als Produzent hinter den Reglern. Der blickt mit 10 Jahren Releases auf Critical, Metalheadz und Dispatch auf ausreichend Erfahrung im Drum & Bass Bereich zurück.
Natürlich wird das Album in erster Linie von Solahs Stimme dominiert. Harsche Töne sind da weniger zu finden. Es finden sich eher jazzige Klaviernoten oder poppige Elemente wieder. Und da Stimme auch mit verschiedenen Stilen funktioniert, hat sich mit Haven’t You Heard auch ein UK Garage Track eingeschlichen.
We’re Going Deep – Volume 7
Und wenn ich schon mal in Bestelllaune bin, dann löse ich auch gleich mal die Sammlung auf, die sich bei Bandcamp gestaut hat. Das Label We’re Going Deep hat die Tendenz, digitale Releases immer etwas zu verschleppen. D.h. das Vinyl ist schon längst erschienen, da kommt erst die Digitalveröffentlichung.
So auch bei der We’re Going Deep Volume 7. Musikalisch ist ja die Nähe zu Innate nicht zu verleugnen. Besonders nicht, seit sie eine gemeinsame Plattform mit Inn-Deep geschaffen haben. Der Unterschied ist, dass der deepe Sound bei WGD etwas acidlastiger ist. Aber auch nicht muss. Deswegen sticht der Titel Ill meet you on the dancefloorr [SIC!] besonders heraus. Nicht nur mit der Schreibweise, sondern auch weil der Titel so überhaupt nicht zum Inhalt passt. Es sei denn auf dem Dancefloor sind Schlafsäcke ausgelegt oder es steht ein Sofa dort. Schließlich ist der Track für langsam tanzen zu schnell, aber Lichtjahre von Ekstase und Feiern entfernt.
Low Tape – We’re Going Deep 12002
Ich mache gleich mal weiter. 2021 machte We’re Going Deep die Tür auf und begann mit Luke Vibert eine Veröffentlichung herauszubringen, die nur von einem Künstler stammte. Logisch – Luke Vibert = Acid. Jetzt legte WGD doppelt in 2022 nach. Eine davon ist die We’re Going Deep 12002 von Low Tape. Low Tape ist ein Künstler aus Nischni Nowgorod.
Derzeit finde ich Releases von russischen Künstler immer etwas zweifelhaft. Auf der einen Seite ist jede systemkritische Aussage der sichere Schritt ins Gefängnis oder andere Repressalien. Andererseits sollte doch Musik immer eine Sprache sein, die Ländergrenzen verschwinden lässt, universell ist und Ausdrucksform für alle Menschen jeden Alters, Geschlecht, Herkunft und Glaubens etc. sein. Also ist Low Tape einfach nur Low Tape, der vier Electro-Tracks abliefert. Electro, der entspannten Form mit einer ganz leichten Acid-Note. Mal schön groovend, mal verträumt.
D5 – We’re Going Deep 12003
Ein bisschen rätselhaft ist der musikalische Werdegang von D5 schon! Da erscheinen ein Album und fünf EPs zwischen 2001 und 2009 auf Delsin Records. Und dann ist Ruhe, bis Delsin mit Sides Of Space dem Projekt eine Compilation widmet. Dann kommt 2019 ein Album und nun die We’re Going Deep 12003. Von daher fällt mir die Beurteilung schwer, ob das alte Tracks sind, die aus der Schublade kommen oder komplett neue Werke. Zumal der Sound von Detroit so erschütternd zeitlos ist, dass man nicht so einfach aus dem Ärmel schütteln kann, aus welchem Jahrzehnt der Release stammt.
Rave Culture 2022
Hands in the air! Was geht denn so bei den Ravern heute? Ich weiß nicht, warum ich die Rave-Compilation von ARTS 2021 verschleppt habe, aber 2022 musste es mal wieder sein. Rave Culture 2022 liefert einen guten Überblick. Nachdem ich so eher die Tendenz habe, so im mittleren BPM-Bereich unterwegs zu sein, dreht die Compilation hoch und liefert so zwischen 140-160 BPM. Und damit erfüllt der Rave von heute, was der Rave von damals auch gemacht hat. Harte Beats mit trancigen Sounds. Und mit 20 Titeln ist es nicht nur ein Abgleich mit dem Stand, sondern auch noch ein preiswerter Überblick über das Spektrum.
Skee Mask – B
Es ist Weihnachten! Skee Mask verkleidet sich als Weihnachtsmann und bringt nach der A, die initial zur Unterstützung gegen den russischen Angriffskrieg gedacht war, jetzt die B mit ungemasterten Tracks aus der Spanne Compro bis Pool. Die Weihnachtsmannreferenz musste natürlich rein, weil es das Werk für lau gibt. Natürlich darf auch gespendet werden, aber der Grundpreis ist 0 Euro.
Zum Stil muss man nichts weiter sagen. Obwohl nun die Compro die Creme de la Creme war, kann ich nicht wirklich sagen, dass es hier einen Qualitätseinbruch gibt. Ja, es ist etwas leise. Deswegen hatte ich schon fast überlegt, mal auf den Link zu klicken, der mir in letzter Zeit häufiger präsentiert wird, wo man Tracks „automatisch“ mastern kann. Um es auf den Punkt zu bringen – ich bin so begeistert, wie viel Talent und Innovation da drin steckt.
Ich meine, letztlich hat es Skee Mask mit seinen Alben geschafft, in einem Atemzug mit Aphex Twin genannt zu werden. Und der hat wirklich viele Jahre geschwätzt, bis er endlich mal einen Einblick in seine unveröffentlichten Stücke gegeben hat. Und das zu einer Zeit, wo er garantiert finanziell ausgesorgt hat. Da wäre ich mir bei Skee Mask nicht so sicher. Und der liefert einfach mal gratis ab. In einer Zeit, wo von Rezession die Rede ist. Wo sich Musiker rechtfertigen müssen, die Umwelt zu versauen, weil sie von einem Ende des Planeten zum anderen jetten. Da kommt so ein Album. Und deswegen bleibt mir da einfach mal der Mund offen stehen.
Gimmik – News from the Past
Eigentlich nehme ich für die Plattenkiste ja keine Wiederveröffentlichungen auf. Aber bei der News From The Past ist das schon eine Ausnahme. Denn die Compilation ist alt aber auch wieder nicht. Original erschienen von Gimmik 6 Tracks damals auf Toytronic. Die stellten eine Auswahl von Titeln dar, die zwischen 1993 und 2000 erstellt wurden. Daher auch der Name der Compilation.
Jetzt taucht Gimmik wieder auf und veröffentlicht fleißig bei n5MD. Die haben das Werk etwas aufgeblasen und darauf gleich mal eine Compilation mit zehn Titel gemacht. Es gibt natürlich die wilde Mischung aus Ambient, IDM und Drill’n’Bass zu hören. Und alles sehr verspielt. Um so mehr war ich überrascht, als ich die Plattformen durchstöberte und bei iTunes eine Ausgabe fand, die sogar 15 Titel umfasste. Natürlich musste man da noch ein paar Euro drauflegen, aber das war es mir wert. Und um auf den Anfang zurückzukommen, sind 9 Titel extra, die bisher nicht zu der Veröffentlichung gehörten schon irgendwie wie eine neue Scheibe.