Ich schalte mit der Plattenkiste September 2022 mal bewusst einen Gang zurück. Mittlerweile hat sich ein riesiger Stapel mit Musik angehäuft, die ich durch günstige Schnäppchen bei bei Auktionen ergattert habe. Außerdem habe ich das Gefühl, dass ich eine kleine Pause brauche.
Grund dafür ist meine Ideenlosigkeit. Als ich mit meiner Serie A-Z der elektronischen Musik begann, wollte ich einfach nur eine Geschichte erzählen. Die Basics, die jeder Technohead oder der, der es werden möchte, nicht verpassen sollte. Doch jetzt, wo ich über 60 Folgen gemacht habe, kommt langsam eine Trockenphase. Ich habe zwar jede Menge Ideen, über was ich reden könnte, wo ich viel Musik spielen könnte, aber es gibt keine Geschichte dazu. Und ich habe die Serie bewusst so gewählt, dass ich keine Fakten verteile. Wer Fakten will, kann im Internet suchen. Dafür gibt es Wikipedia, Discogs usw. Also fahre ich die Anzahl der neuen Releases mal etwas herunter und stöbere in alten Sachen, auf der Suche nach Anekdoten.
Kessler – Endless
Die Magie einer Kessler EP ist schwer in Worte zu fassen. Und trotzdem ähnelt die neue Endless ihrem Vorgänger auf Shall Not Fade. Auf dem ersten Werk waren sechs Tracks enthalten. Die ersten beiden Songs haben die Stimmung etabliert und dann hat Old Wives Tale alles abgeräumt. Immerhin hatte die EP sechs Titel.
Die neue Endless ist ähnlich, nur dass jetzt die Erwartungshaltung da ist, von einem Track komplett hinweggefegt zu werden. Aber bei drei Titeln und einem Remix fällt das ein bisschen schwer, weil die ersten beiden Tracks wieder den Einstieg bieten. Das heißt auf dem Level von Kessler: Breakbeats die das Potenzial zur Hymne haben. Aber so der Höhepunkt bleibt aus. Aber nicht vergessen, dass es immer noch High Level ist.
Silk Road Assassins – Deadcell / 3M Kunai
Leider war es wieder viel zu schnell ruhig geworden um die Silk Road Assassins. Erst die schöne lange EP auf Planet Mu, dann das Album drei Jahre später und dann Stille. Jetzt fand Coyote Records, dass die Pause zu lang war und holt zwei Tracks aus der Anfangszeit von 2016 hervor.
Deadcell / 3M Kunai wird in die Schublade Trap oder Grime geschoben, aber damit assoziiere ich doch eher genau wie bei Hip Hop einen Stil, wo Vocals involviert sind. Das ist hier definitiv nicht der Fall und deshalb müssen frostig, klirrende Sounds den Part über dem Bassgewitter übernehmen.
Yan Cook – Mirror Maze EP
Yan Cook auf Inertia. Jetzt ist mir Inertia als Sublabel von Delsin sehr technoid in Erinnerung. Wobei ich jetzt dann doch sehr überrascht bin, wie viel Deepness auf der Mirror Maze EP unterwegs ist. Da ich in diesem Monat Kanzleramt als Beitrag für electro-space monthly habe, kommt diese EP mit ihrem Sound dem ganzen schon sehr nahe. Könnte also eine sehr später Kanzleramt-Scheibe sein.
Harthouse Retrospective (Destination Berlin)
Seit ich das neue Album von Der Dritte Raum gehört habe, rückte das Label Harthouse mal wieder etwas mehr in mein Sichtfeld. Mir war in Erinnerung geblieben, dass Harthouse irgendwann geschlossen hatte, dann wieder aufgemacht hat und hin und her. Aber der Fakt ist letztendlich, dass das Wiederbeleben von Harthouse jetzt schon länger Programm ist, als Harthouse eigentlich in den 90ern existiert hat. Oder anders gesagt: Harthouse war nie richtig tot.
Und demzufolge habe ich mir mal die aktuelle Compilation Harthouse Retrospective (Destination Berlin) zu Gemüte geführt. Die gibt es genau auch als schönes Splatter-Vinyl. Aber die Musik ist ja entscheidend. Der Titel lässt ja vermuten, dass es ein Rückblick auf das Schaffen des Berliner Ablegers ist, seit das Label in Mannheim und Berlin zu hause ist.
Inhaltlich gibt es – wie nicht anders zu erwarten – aktuellen Techno. Mit den Namen CJ Bolland, Der Dritte Raum, Marco Zaffarano und Frank De Wulf könnte man fast meinen, es hat sich eigentlich überhaupt nichts geändert. Nur der Sound ist moderner geworden
Harthouse Retrospective (Destination Mannheim)
Es ist natürlich unglaublich schwierig, wenn man die Berliner Harthouse Compilation hört, dass die Mannheimer Version einfach links liegen bleibt. Deswegen kam diese auch zu Gehör und um ehrlich zu sein, gefällt sie mir noch einen Ticken besser, als das Berliner Pendant.
Der Stil auf der Harthouse Retrospective (Destination Mannheim) ist etwas ruhiger, aber auch acid-lastiger. Mit Jesper Dahlbäck, Joey Beltram, Ken Ishii und Braincell sind auch Namen dabei, die hinlänglich bekannt sein sollten. Ansonsten halten sich die Unterschiede zwischen Destination Berlin und Destination Mannheim in Grenzen. Aus dem Grund muss man sagen: Kaufst du eine, musst du auch die andere kaufen. Alles andere wäre unfair.
Vril & Rødhåd presents Out Of Place Artefacts II
Ein Pärchen kommt selten allein. Ende September erschien auf Rødhåds Label WSNWG die Kollaboration mit Vril. Der Name des Albums ist Out Of Place Artefacts II. Das Schlimme und gleichzeitig das Gute an dem Werk ist sein Fluss. Du fängst an der Quelle an, denkst aber, dass du noch ganz leicht wieder rauswaten kannst.
Aber spätestens nach zwei, drei Titeln bist du so gefangen, dass du nicht mehr entkommen kannst. Natürlich gibt es Stellen am Fluss, die weniger schön sind, aber dann bist du schon so weit, dass es sich schon nicht mehr lohnt. Und irgendwann am Ende wartet das Meer und alles, was dich bisher getragen hat, löst sich auf.
Das mag jetzt alles eine theatralische Beschreibung sein, aber Out Of Place Artefacts II hat etwas wirklich Beruhigendes an sich. Sich dazu auf die Couch zu setzen und einfach zuzuhören und komplett herunterzukommen, war eine Sache von wenigen Minuten.
Vril & Rødhåd presents Out Of Place Artefacts
Mit Pärchen meinte ich natürlich nicht die Collaboration von Vril & Rødhåd, sondern das Pärchen an Releases. Wobei ich beim Erstellen des Beitrags darüber gestolpert bin, dass der Titel lautet: Vril & Rødhåd presents Out Of Place Artefacts. Da steht nicht „present“, sondern die Einzahl. Mit anderen Worten betrachten sich beide Künstler in diesem Fall als Einheit. Oder doch nur ein Tippfehler?
Letztlich ist die Geschichte hinter den beiden Releases schnell erzählt. Ich entdeckte die Veröffentlichung und da ich schon von der Zusammenarbeit zwischen JakoJako und Rødhåd begeistert war, konnte mit Vril ja nicht viel schief gehen. Wie man oben lesen kann, lag ich da vollkommen richtig. Aber die „II“ deutete auf eine Fortsetzung hin, also musste ich auch der ersten Ausgabe die Möglichkeit geben, zu Gehör zu kommen.
Kurz gesagt spürt man die zwei Jahre, die zwischen beiden Alben liegen, kaum. Und dabei liegt pandemisch gesehen eine Ewigkeit dazwischen. Wie oft unterhalten wir uns und reden über Dinge, die zwei Jahre her sind. Aber nein, sie sind 5 Jahre her, weil dazwischen die dunklen Jahren der Pandemie lagen.