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E wie Electro

Jan 0
geschätzte Lesedauer: 4 Minuten

Mich überkommen unangenehme Schauer, wenn ich nach Electro suche. Denn in der heutigen Zeit ist für viel Electro eigentlich nur eine Abkürzung für Electronic Dance Music aka EDM. Aus dem Grund lege ich einen Filter ein und beginne eine Zeitreise…

Unknown Territory ist eine Serie, wo ich musikalisch über den Tellerrand hinausschaue. Ich entdecke Musik, die mir zwar geläufig ist, wo ich aber bisher nie die Zeit fand, mich intensiver damit zu beschäftigen. Ich werde dabei in die Vergangenheit eintauchen und wenn möglich auch einen Bezug zur Gegenwart herstellen.

Zu Beginn noch ein kleines Vorwort: Die Serie Unknown Territory ist in gewisser Weise flexibel, aber auch nicht. Im Grund genommen, ist es so, dass ich schon die Musik für die nächsten Beiträge zusammensuche, während ich das hier schreibe. Aus dem Grund habe ich schon sehr viel Electro im Programm gehabt, als ich Drexciya behandelt habe. Trotzdem bleibt da noch genug Raum für andere Künstler, welche die Geschichte des Electro mit geprägt haben.

Kraftwerk – Computerwelt

Eine große Überraschung dürfte es nicht sein, dass Kraftwerk maßgeblichen Einfluss auf die Entwicklung von Electro hatten. Deswegen habe ich mir mal exemplarisch das Album Computerwelt herausgegriffen. Hier finden wir schon die typischen Elemente des Electro.

Electro ist schon sehr artverwandt mit Techno, nur hier läuft die Bassdrum nicht 4/4. Charakteristisch ist aber auf jeden Fall der Clap oder Snare auf jeden zweiten Takt. Und das waren auch schon die Basics. Was Electro durch die Musik von Kraftwerk mit sich bringt, ist ein Hauch von Science Fiction und eiskalter Technologie.

Tracks wie Nummern oder Computerwelt waren die Tracks, die in den USA ankamen und dort begannen mit Hip-Hop zu verschmelzen. Man denke nur an Play At Your Own Risk von Planet Patrol oder das daraus folgende und wesentlich bekanntere Planet Rock von Afrika Bambataa & The Soulsonic Force. Das war die Geburtsstunde des Electro.

Cybotron – Clear

Natürlich erkannten viele das Potenzial dieser Musik und begannen damit zu experimentieren. Sei es nun mit dem Bezug auf Kraftwerk oder der Verfügbarkeit der ersten Synthesizer. Als Beispiel sei hier nur auf Herbie Hancocks Rockit verwiesen. Aber auch Künstler in Detroit machten sich ihre eigene Version dieses Sounds. Allen voran Künstler wie Juan Atkins, Kevin Saunderson und Derrick May.

Wobei ich schon ahne, dass Puristen mir jetzt unterstellen könnten, ich würde P-Funk, Electro Funk und Electro in einen Topf werfen. Aber darum geht es hier nicht. Ich versuche das jetzt historisch zu verfolgen und da kommt man an einem Juan Atkins aka Cybotron einfach nicht vorbei.

Zumal Clear im Jahre 1983 erschienen ist und durch seinen instrumentalen Ansatz schon wesentlich näher am Electro war, als die vorhin erwähnten Hip-Hop-Scheiben.

Dynamix II – The Album

Das nächste Album habe ich ausgewählt, weil es zwei Genres berührt. Zum einen natürlich Electro. Vergleicht man The Album mit dem, was ich bisher angesprochen habe, wird man relativ wenig Entwicklung sehen. Aber was hier sich gerade beginnt zu entwickeln, ist der Miami Bass. Als Empfehlung sei hier nur der Titel Bass Generator genannt.

The Album erschien 1990 und zieht noch keine klare Grenze zwischen Miami Bass und Electro. Der Bass ist auch noch längst nicht da, wo einige Jahre später sein wird. Als zweite Empfehlung schlage ich vor, in den Titel Ignition reinzuhören. Dort findet sich wieder ein klare Referenz auf Kraftwerk mit ihren Nummern.

Dopplereffekt – Gesamtkunstwerk

In meiner Zeitreise sind wir mittlerweile in den späten 1990ern angekommen. Hier habe ich Gesamtkunstwerk von Dopplereffekt herausgesucht. Das hat für mich so viele Gründe. Zum einen, weil die eine Hälfte von Dopplereffekt Gerald Donald ist, der zusammen mit James Stinson Drexciya bildete. Außerdem hat Gerald ein Faible für Electro. Bei seinem Sound habe manchmal das Gefühl, er versucht auf der einen Seite den kalten, digitalen Klang des Electro mit einem warmen, weichen, verrauschten Analogsound zu verheiraten.

Verheiratet ist ein gutes Stichwort bei Dopplereffekt, denn Gerald ist natürlich nicht allein für diesen Sound verantwortlich, sondern arbeitet mit seiner Frau Michaela zusammen. Wo ich zugegebenermaßen schon bisschen neidisch bin. Ich finde das Konzept Ehe funktioniert ja in zwei Hinsichten gut. Einerseits, wenn man unterschiedliche Hobbys hat, aber mit seinen Ideen das Leben des anderen bereichern kann. Oder auch wie bei den beiden, die in die gleiche Richtung laufen und so etwas Fantastisches schaffen.

Der Sound von Dopplereffekt ist wie eine Zeitmaschine. Als hätte jemand die Geräte von heute in die 1980er Jahre verschleppt und die Leute von damals Musik machen lassen. Also Electro ist für mich eine Musik, die Retro wie ein 1980er Videogame, aber auch futuristisch wie eine Stadt auf dem Mond ist.

Planet Reborn

Meine letzte Vorstellung von Electro kommt aus 2024. Um es schwierig zu gestalten, habe ich bewusst alle Labels und Künstler ausgeblendet, die schon seit langer Zeit mit Electro verbunden sind. Initial hatte ich da zum Beispiel einen Anthony Rother im Visier, aber ich wollte lieber einen Ausreißer drin haben.

Also durchsuchte ich die aktuellen Electro-Releases. Es ist schon erstaunlich, wie viel davon wegfällt, lässt man nur die Wiederveröffentlichungen weg. Und so entdeckte ich die Planet Reborn. Das ist eine Compilation auf Avoidant Records, die einen stolzen Umfang von 19 Titeln hat, alle durch die Bank weg aus dem Electro-Bereich.

Außerdem fand ich die Compilation interessant, weil Electro nicht zwangläufig Retro klingen muss. Electro kann auch mit anderen Stilen fusionieren, düster und bedrohlich sein. Je nachdem, wie man seine Zukunft sieht.

Fazit

Was war: Diesmal beziehe ich mich auf „Was war“ vor der Serie. Natürlich hatte ich eine Vorstellung wie Electro klingt, wo Electro herkommt, nur wollte ich etwas tiefer einsteigen und mehr wissen.

Was ist: Ich mag Electro sehr gern. Aber es sollte nicht zu experimentell werden. Also eigentlich finde ich die Vorstellung von Dopplereffekts Electro schon ziemlich perfekt. Genau die perfekte harmonische Mischung aus Retro und Futurismus.

Was wird: Andererseits ist Electro, wenn ich ihn nur sehr einseitig belaste, ziemlich schnell abgenutzt. Und das aus meinem Mund, der sich darüber beschwert, dass im Bereich elektronische Musik sich nicht mehr bewegt. Aber gleichzeitig einen Musikstil auf genau eine Interpretation festzurren. Genau mein Humor! Von daher werden Electro und ich uns eher in einer respektvollen Distanz begegnen.

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