Drücke „Enter”, um zum Inhalt zu springen.

B wie Big Beat

Jan 0
geschätzte Lesedauer: 5 Minuten

Die zweite Ausgabe von Unknown Territory beschäftigt sich mit Big Beat. Dieser Stil ist vielleicht nicht mehr ganz aktuell, aber trotzdem wollte ich mir schon immer mal die Zeit nehmen, mich damit eingehender zu beschäftigen.

Unknown Territory ist eine Serie, wo ich musikalisch über den Tellerrand hinausschaue. Ich entdecke Musik, die mir zwar geläufig ist, wo ich aber bisher nie die Zeit fand, mich intensiver damit zu beschäftigen. Ich werde dabei in die Vergangenheit eintauchen und wenn möglich auch einen Bezug zur Gegenwart herstellen.

Als Erstes habe ich versucht für mich die Frage zu erörtern, was Big Beat überhaupt ist? Dazu hole ich mal etwas weiter aus und blicke in die Musikgeschichte. Menschen haben sich schon immer zusammengefunden, um gemeinsam zu musizieren. Im Laufe der Zeit kristallisierte sich da für die klassische Musik das Orchester heraus. Je nach Belieben begann variierte das in Richtung Blas- oder Streichorchester. Mit Beginn des 20. Jahrhunderts wurden afro-latein-amerikanische Einflüsse populär und Orchester wurde mit Rhythmusgruppen verstärkt. Das sogenannte Jazzorchester hatte auch den schlichten Namen Big Band.

Und diesem Gedanken müssen wir einfach nur fortsetzen und das Orchester mit Samplern, Synthesizern und Drummachines ausstatten. Dazu brauchen wir dann aber kein Orchester mehr, aber so konnten noch mehr Stile, wie Hip-Hop, Drum & Bass, Soul und Funk einfließen. Und dieses hochflexible Gemisch nennt sich Big Beat.

An erster Stelle bei diesem Thema sind mir die Chemical Brothers eingefallen, aber denen werde ich ein gesondertes Kapitel dieser Serie widmen. Deswegen habe ich für Folge #2 ziemlich zielstrebig folgende Künstler gewählt: Propellerheads, Fatboy Slim, Apollo 440 und Boom Boom Satellites. Discogs listet auch die späteren Werke von The Prodigy unter Big Beat, aber auch die Herren haben schon einen eigenen Beitrag bekommen.

Fatboy Slim – You’ve Come A Long Way Baby

„Every women, every man – join the caravan of love! Stand up! Stand up!“ Sich durch die Diskografie von Norman Cook zu wühlen, kann schon echt eine Erleuchtung sein. Okay, ich wusste von Beats International (Dub Be Good To Me), aber The Housemartins war mir neu, genau wie auch die Mighty Dub Katz (Magic Carpet Ride). Aber ich denke zu dem Album You’ve Come A Long Way Baby muss ich relativ wenig Einleitung geben, weil das Album selbst so extrem populär war, dass keiner weiteren Erklärung bedarf.

Trotzdem oder vielleicht genau deswegen habe ich nie in das Album reingehört. Die Videos liefen den ganzen Tag rauf und runter und darum hatte ich auch nie die Notwendigkeit verspürt. Aber gehen wir ins Album hinein. Ich fand den Titel Right here, right now schon immer sensationell. Noch besser war dazu das Video. Wie ein Studienkollege treffend zusammenfasste: 350 Millionen Jahre Evolution und am Ende ist da das dicke Kind mit dem T-Shirt „I’m #1 so why try harder“ (zu deutsch: ich bin die Nummer 1, warum noch mehr anstrengen). Die Krönung der Evolution.

You’ve Come A Long Way Baby ist aber ein Album, was sofort Spaß macht. Zum einen kennt man viele Songs und die sind dann auch wirklich gut. Gerade, wenn ich das unter dem Aspekt von Big Beat betrachte. Fatboy Slim fusioniert die Big Band in seinem Sampler mit Dance Music. Von den Alben, die ich hier vorstelle, wohl das, womit man am schnellsten klar kommt.

Propellerheads – Decksandrumsandrockandroll

Auch dieses Album war Ende der 1990er sehr populär, nicht zuletzt durch den Erfolgshit History Repeating mit Shirley Bassey. Klammert man diesen Hit aus, wird das Album ziemlich stumm. Aber trotzdem spannend und interessant. Weil ich musste die ganze Zeit, während ich es gehört habe, an einen Agentenfilm denken. Da ist das Blas-Ensemble das eine spannungsgeladene Melodie spielt, ein Basslauf, der nervös wie Finger auf dem Schreibtisch trommelt und dann noch ein Beat, irgendwo zwischen Hip-Hop und Drum & Bass.

Also auch die Propellerheads sind an der Big Band dran und denken die Idee kontinuierlich weiter. Und während ich Ausgabe zum 20-jährigen Release durchlaufen lasse, kommt mir wieder eine Idee für ein Puzzle der Musikgeschichte. Sind in der Entstehungsphase der elektronischen Musik häufig Künstler oder Enthusiasten involviert gewesen, kommen Mitte / Ende der 1990er durch den Aufstieg der elektronischen Tanzmusik immer mehr Musiker, die ein klassisches Instrument gelernt haben, mit elektronischer Musik in Berührung und lassen komplexere Notenfolgen und ihr Wissen um Tonarten auf Synthesizer los. Quasi der Jazz erobert die elektronische Musik, denn auch der Faktor Improvisation fließt mit ein. Aber auch der Band-Charakter, indem mehrere Künstler ihr elektronisches Musikinstrument beherrschen und es spielen wie Gitarre, Klavier oder Schlagzeug.

Apollo 440 – Electro Glide In Blue

Auch Apollo 440 hat diesen einen Hit, der auf dem Album Electro Glide in Blue enthalten ist. Ain’t Talkin‘ ‚Bout Dub ist damit irgendwie herausragend, hört man aber das Album gesamt, fügt sich der Titel sehr gut ins Konzept ein. Was bei den beiden anderen Alben vielleicht nur begleitende Elemente waren, kommen hier mehr zum Vorschein. Die Gitarre, wenn auch gesamplet und Gesang. Und jetzt erscheint Big Beat unter einem ganz anderen Licht.

Die Idee von Big Band und elektronische Musik wird minimaler. Wie ich oben schon geschrieben habe, wirkt es hier mehr wie der klassische Bandansatz, d.h. das Schlagzeug tauscht mit dem Drumcomputer, die Lead-Gitarre mit dem Sampler und der Bass mit ein paar Synthesizern. Apollo 440 holen sich aber doch mehr Ideen der elektronischen Musik an Bord. Nicht mehr der Schlagzeug-Loop oder ein Breakbeat-Sample, sondern hier streuen Einflüsse von Jungle und Drum & Bass mit rein. Das macht das Album abwechslungsreich, aber manchmal, wie z.B. beim Titelsong etwas fade und anstrengend.

Boom Boom Satellites – Umbra

Als viertes Album habe ich ein bisschen gesucht und als Künstler die Boom Boom Satellites gewählt. Ein japanisches Duo, was 1990 gegründet wurde. Was ich erwartet habe: irgendwas Verschrobenes oder Verspieltes, was für den europäischen Verstand schwer greifbar.

Und der erste Titel Sloughin‘ Blue erfüllt auch meine Erwartungen. Und dann rennt der Titel auf einmal los und ich habe den Eindruck, ich habe hier eine digitale Rockband vor mir. Alles scheint sich neben den Vocals auf Basslauf und Drums zu konzentrieren. In dem Moment überlege ich, ob ich mit meiner Definition von Big Beat richtig liege?!

Ist es vielleicht auch so, dass Big Beat doch eher bedeutet, dass sich diese Musik eher auf Beats fixiert und der Rest eher nettes Beiwerk ist. Das würde dann den Agenten-Soundtrack von den Propellerheads erklären. Und auch in großen Teilen Apollo 440. Dort finde ich dann plötzlich das Vocal „Rocker to rocker, raver to raver…“ wieder und kann den Gedanken der digitalen Rockband weiter verfolgen.

Fazit

Ich höre doch noch mal in The Fat Of The Land von Prodigy rein. Ja, das passt irgendwie dazu und auch die Beats der Chemical Brother gehören dann da rein. Also lag ich mit meiner These komplett falsch? Nein, ich denke nicht, denn Big Beat ist irgendwo dazwischen.

Was war: Big Beat ist ein Genre, wo ich mir nie groß Gedanken gemacht habe. Das war die Musik, die Ende der 1990er bis ungefähr zur Jahrtausendwende populär war und dann aber auch so schnell verschwand, wie sie aufgetaucht ist.

Was ist: Nachdem ich die Alben gehört habe, habe ich eine Vorstellung gewonnen, was Big Beat eigentlich ist. Das hilft mir ungemein, meine Musik mit Tags zu versehen und so feinere Abstufungen hinzubekommen. Außerdem bin ich froh, endlich mal in die Alben reingehört zu haben. Aber außer dem Album von Fatboy Slim haben die anderen Alben mir nicht so gut gefallen, dass ich sie in Betracht ziehen würde, in die Plattensammlung aufzunehmen.

Was wird: Wie schon beschrieben, ist Big Beat eine Musik, die eher eine Randerscheinung ist. Oder durch ihre Kreuzung von mehreren Musikstilen nicht mehr als Genre wahrgenommen wird. Wie ihr schon an meinen Ausführungen gemerkt habt, ist es auch nicht einfach Big Beat auf einen Punkt festzunageln. Und wenn ja, dann ist die Nische sehr klein.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

WordPress Cookie Hinweis von Real Cookie Banner