Letzte Runde für 2023! Die Plattenkiste Dezember 2023 legt noch mal richtig nach. Das Jahresende brachte mir noch mal ein paar richtig schöne Releases. Da ist wirklich alles dabei – von Techno über IDM bis zu entspannenden House-Sounds.
Special Request – What Time Is Love? Sessions
Um das Album zu verstehen, bin ich mal in einen Dialog mit mir selbst gegangen…
P1: Was wäre wenn eine deiner Lieblingsbands aus den 1990ern sich wieder zusammenfindet, um Musik zu machen?
P2: Da bin ich etwas zwiegespalten. Denn die Erwartungshaltung wäre ja, dass sie noch genau so klingen wie damals. Aber gleichzeitig würden die Kritiker zurecht anmerken, dass sie sich in den letzten 30 Jahren musikalisch weiterentwickelt haben.
P1: Und wenn das jetzt eine andere Person übernehmen würde, mit Genehmigung der Band?
P2: Interessanter Ansatz! Denn sämtliche oben genannten Kritikpunkte wären hinfällig. Der Künstler darf den damaligen Ansatz der Band aufgreifen und gleichzeitig kann ihm keiner vorwerfen, sich nicht zu ändern, denn genau das macht er in dem Fall.
P1: Was wäre wenn Special Request die Single What Time Is Love? von The KLF auf Albumlänge erweitert und dabei seinen Musikstil mit dem von The KLF kombiniert?
P2: Um so interessanter! Weil The KLF nie wirklich einen Musikstil hatten. Sie haben in den späten 1980ern den Pop von Stock-Aitken-Waterman persifliert. Danach gingen sie in ihre erfolgreiche Phase, wo mit ihrer Musik den jungen Eurodance massiv beeinflussten. Wobei die Auskopplungen mit ihren Zusammenarbeiten mit Echo & The Bunnymen und den Moodyboys schon sehr speziell waren. Dann gab es noch die Chill Out, ein erstklassiges Ambientalbum. Mit It’s Grim Up North hatten sie auch schon ziemlich rauen Techno am Start. Und schließlich das verlorene The Black Room Album, von denen nur unglaublich schlechte MP3-Kopien herumgeistern, wo The KLF mit Extreme Noise Terror zusammengearbeitet haben.
P1: Heißt das, es wäre vergebene Liebesmüh der Musik von The KLF neues Leben einzuhauchen?
P2: Nicht zwangsläufig. Es gab bereits unglaublich viele Interpretationen ihrer Songs. Letztlich sollte man sich dazu mal nur die Serie Recovered & Remastered ansehen, die neben neu gemasterten Tracks bisher unveröffentlichter Songs auch viel Fanmaterial enthält. Also ist die Idee nicht neu und wird schon seit damals immer wieder belebt.
P1: Warum ist dann die What Time Is Love? Session so speziell?
P2: Special Request kombiniert in diesem Album eigentlich alles hinein, was The KLF ausgemacht hat. D.h. eigentlich mit What Time Is Love? allein hat dieses Album relativ wenig zu tun. Da ist Techno dabei, etwas Dance-Sound und jede Menge Raum, irgendwo zwischen Space und Chill Out. Und ja, es sind wieder Schafe involviert.
Es ist natürlich schwierig, weil The KLF mit der KLFRS (KLF Re-enactment Society) den Freifahrtschein für alle und jeden gegeben hat, damit sie Remixe ihrer Werke machen können. Doch als das Album veröffentlicht wurde, stand in der Release Mail folgendes Statement:
Epic. Very impressive work! I love the abstract movements but also the ardkore is great
Jimmy Cauty
Für mich bedeutet das, dass es nicht nur einfach eine weitere Neufassung ist, die irgendwo im Grundrauschen des Netzes untergeht, sondern auch von The KLF bekannt und für würdig befunden wurde.
Bluetrain – Steady Pulse
Bluetrain ist Steve O’Sullivan. Steady Pulse ist bereits im Oktober 2022 auf Vinyl erschienen und kam jetzt als Digitalausgabe. Und das veröffentlichende Label Lempuyang ließ es sich nicht nehmen, beim Bandcamp-Friday mal einen Rabatt von 30% zu geben. Grund genug für mich, die Lücken zu erkunden und ggf. zu füllen.
So landete dann auch Steady Pulse in meiner Plattenkiste. Jetzt ist natürlich die Frage, ob ich nicht langsam von dem ganzen Dub-Techno die Nase voll habe. Letztlich ist das Schema doch immer wieder das Gleiche. Echos, ein sanfter Beat und vielleicht hier und da auch mal Gesang dazu. Ja, aber genau das macht das Genre so interessant. Es variiert von wabernden Ambientechoes über sehr langsame Rhythmen bis zu deepem Techno. Und auch wenn es doch ziemlich ähnlich klingen mag, denkt doch jeder Dub-Techno-Track ein bisschen anders und trotzdem deep.
John Digweed – Futuro
Nächstes Jahr wird Bedrock Records 25 Jahre jung. Zeit für den Labelchef John Digweed eine Kollektion von 25 Titeln zu nehmen und zur Compilation Futuro zusammenzustellen. Dazu gesellen sich dann noch zwei Mixe, also insgesamt sehr viel Material. Und das reicht von Progressive House über Techno bis House. Also die perfekte Compilation zum Tanzen und Chillen.
Das Schöne an der Futuro ist, dass es keinen Track gibt, der herausragt. Alle halten gleichmäßig ein Level und damit bin ich nicht geneigt, irgendwie hin- und herzuspringen, um eine Stelle herauszupicken. Läuft einfach, die Compilation!
Janeret – Passion
Die neue EP Passion von Janeret gefällt mir ja glatt noch ein bisschen besser, als die Joy & Happiness, die schon im September auf Shall Not Fade erschienen ist. Diesmal gibt es ein buntes Gemisch aus Electro, Tech House und schönem deepen House-Sound.
Zeit für mich mal einen Blick hinter das Pseudonym Janeret zu werfen. Hinter Janeret verbirgt sich der französische Musiker Mickael Jeanneret, was auch erklärt, woher der Name für sein Projekt kommt. Er ist schon seit über 10 Jahren im Geschäft und kann zahlreiche Releases vorweisen, die auf unglaublich vielen Labels erschienen sind.
Sun Electric – Live At Votivkirche Wien
Sun Electric sind schon fast zu lange unter meinem Radar gewesen. Dabei hat mir ihr Titel Sarotti damals doch ziemlich gut gefallen. Das war so ungefähr Mitte der 1990er. Das Album Present hatte ich schon vor langer Zeit gekauft, doch Ende letzten Jahres hörte ich mal in die anderen EPs rein und legte ordentlich nach.
Wie es der Zufall so wollte, wurde dann die Live At Votivkirche Wien veröffentlicht. Mit sieben Titeln sieht das Werk etwas schlank aus. Aber jeder der Tracks ist so um die 10 Minuten lang, was das Gesamtwerk auf eine doch ganz ansehnliche Länge bringt. Klanglich sind Sun Electric auch Live unglaublich gut. Perfekt ausgetüftelte Sounds, angenehm leicht zu hören, immer mal ein Beat, der das Ganze untermalt.
Ich frage mich, wie man eine Live-Session in einer Kirche wohl genießt? Im Stehen ist es wohl nicht praktisch, weil wirklich viel tanzen kann man dazu nicht. Braindance lässt da eher die Synapsen springen. Von daher empfände ich eine liegende Wahrnehmung wohl am besten.