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Techno ist tot

Jan 2
geschätzte Lesedauer: 6 Minuten

Eigentlich sollte es doch heißen: Techno ist tot, lange lebe Techno! Aber so wird die Geschichte nicht ausgehen. Ich habe in den vergangenen Monaten immer wieder Erlebnisse gehabt, die mich zweifeln ließen. Aber in den letzten Wochen habe ich für mich die Erkenntnis gewonnen, das Techno tot ist.

electro-space monthly ist eine Serie, bei der es um Musik geht, die mich beeinflusst hat. Dabei können Künstler, Musikstile oder Labels als Themen auftauchen. Inhaltlich geht es selten um Vollständigkeit, sondern nur um den Abriss, der mich bewegt hat.

Außerdem gibt es die Serie auch als Podcast zum Anhören. Dort gibt es neben dem hier stehenden Text noch die Musik, über die geredet wird. Und vielleicht erzähle ich auch noch etwas mehr, wenn mir spontan etwas einfällt.

Motivation

Etwas, was mich immer stört, sind Menschen, die musikalisch ihrer Jugendzeit nachhingen oder stecken geblieben sind und meinten, die Musik wäre nie besser gewesen, als zum Zeitpunkt ihrer Jugend. Ironischerweise ist das ein Allgemeinplatz, der ziemlich häufig zutrifft. Und dazu wollte ich nicht gehören. Deswegen habe ich mir immer neue Musik angehört, kaufe neue Musik, um mitzuerleben, wie sich alles weiterentwickelt. Aber so in den letzten Jahren fehlt der richtige Knaller.

Meine Frau meinte immer, das wäre „meine“ Musik. Ich habe immer dagegen rebelliert, weil ich die Techno-Bewegung für kein Phänomen von einigen wenigen halte. Doch gab es da ein Ereignis, was mich umdenken ließ. Als letztens auf Bleep mal wieder Rabattaktion war, schaute ich mich um und entdeckte die Aesthete von John Beltran als Limited Doppel-LP auf farbigem Vinyl. Gut, das Album ist nicht der Oberhammer, aber die Ausgabe war auf 80 Stück limitiert. Aber jetzt mal ehrlich – 80 Stück in einem von UKs größten Online-Stores von einem Künstler, der eigentlich konsequent guten Sound abliefert? Und dann gibt es ein Jahr nach Erscheinen immer noch Ausgaben online zu kaufen?

Deswegen mache ich mich jetzt mal auf die Suche, was da in den letzten Jahrzehnten passiert ist. Und da ich sowieso mal über Techno generell schreiben wollte, werde ich das mal kombinieren. Es soll hier nicht um Namen oder Stile gehen. Selbst wenn ich Techno schreibe, dient das nur als Platzhalter für elektronische Underground-Tanzmusik (um nicht den Terminus EDM bemühen zu müssen). Mein Schwerpunkt soll hinter der Musik liegen, d.h. das technische und soziale Phänomen betrachten.

Der Anfang

Jetzt könnte ich zu Beginn die schon fast philosophische Frage stellen, wer hat’s erfunden? Aber das wäre schon ein komplett eigener Beitrag, zu dem vermutlich jeder seine eigene Meinung hat. Belassen wir es mal bei dem Fakt, dass Kraftwerk einen nicht unerheblichen Anteil an der Geschichte des Techno hatten. Aber egal, welche Namen ich da jetzt nenne, es spielt eigentlich keine Rolle. In dem Fall sind die Namen weniger wichtig als die Tatsache, dass sich etwas anderes bewegte.

Dreh- und Angelpunkt von Techno bzw. allen Spielarten der elektronischen Musik ist die künstliche Klangerzeugung. Sei es nun analog oder digital. Deren Anfänge liegen in 1930er bzw. 40er Jahren, wo die ersten Synthesizer erschienen, die noch mit Röhren arbeiteten. Um diese Episode nicht zu lang werden zu lassen, springe ich gleich mal in die 1960er Jahre, wo mit dem Moog-Synthesizer das erste Mal ein Gerät erschien, was in der Musik präsent eingesetzt wurde.

1958 kam dann noch der integrierte Schaltkreis dazu, der die Grundlage für Sampler und überhaupt alles legte, was eine digitale Verarbeitung ermöglicht. Wenn man jetzt den Abstand zwischen erstem Auftreten und der ersten praktischen Anwendung in der Musik misst, wird klar, dass so etwas nur für ausgewählte Leute zugänglich war.

Der Aufstieg

Deswegen gärte das in den 70er und 80er Jahren langsam hoch. Synthesizer und Keyboards gehörten dann quasi zum Standardprogramm. Natürlich gab es Keyboards auch zu erschwinglichen Preisen. Aber die hatten nur ein fixes Set an Klängen und viel tüfteln konnte man da nicht. Mit anderen Worten, es gab immer noch eine gewaltige Lücke zwischen den Leuten, die elektronische Musik machen konnten und denen, die Ideen hatten, sich aber den Einstieg nicht leisten konnten.

Als Techno Anfang der 90er in der breiten Masse auftaucht, hielten es viele für ein Randphänomen, das schnell verschwinden wird. In Folge dessen gab es in den damals üblichen Talk-Shows jede Menge Sendungen über Techno und Raver, welche die Protagonisten als zugedröhnte Clowns darstellten. Und die Printmedien stimmten in den Chor mit ein. Merkwürdigerweise finde ich in den Kommentaren dazu immer viel Nostalgie. Ich empfand bzw. empfinde es immer noch als ziemlich peinlich. 

Interessanterweise passiert im Techno-Bereich Mitte der 1990er genau das gleiche, was dem Internet kurz nach der Jahrtausendwende passiert. Es wird der großen Masse zugänglich und es entstehen Tools, mit denen jeder seine Ideen ausdrücken kann. Das war zum einen möglich, weil die Computer immer erschwinglicher wurden und deren Leistung inzwischen so zugenommen hatte, dass man keine speziellen Chips mehr benötigte, um Sounds zu generieren. Die CPUs waren so leistungsfähig geworden, dass sie in Echtzeit diese Chips bzw. ihre Funktion simulieren konnten und noch jede Menge Luft nach oben hatten.

Die Sättigung

Reichte Anfang der 1990er die Rechenleistung aus, um einen mehrspurigen Sampler zu simulieren, steigerte sich das im Laufe des Jahrzehnts, dass die PCs locker ein ganze Rack mit Synthesizer, Drummachines und Samplern emulieren konnten. Das hatte natürlich positive und negative Einflüsse.

Durch die Clubtauglichkeit der Musik fühlten sich viele davon angezogen und wollten Teil der Bewegung werden. Und wer einen PC daheim stehen hatte, probierte sich aus. Das brachte natürlich jede Menge neue Inspirationen als Feedback. Die Künstler waren offen für alles Neue und deswegen gab es wenig Grenzen, weswegen man durchaus Gabber, Trance und Acid-House auf einer EP finden konnte.

Andererseits wurde dabei auch die Qualität sehr verwässert. Wie eine Welle schwappten neue Labels mit neuer Musik auf den Markt und zwangen bestehende Labels zum Umdenken. Denn plötzlich standen sie nicht mehr allein mit ihrem Sound da, sondern waren nur ein Label von vielen. Deswegen war eine Neuorientierung zwingend notwendig.

Es war eine bizarre Zeit, in der Acts wie Jam & Spoon mit der A-Seite ihrer Platten in den Charts waren und mit den B-Seiten Legenden in den Clubs schufen. Überhaupt war das ein Kennzeichen dieser Zeit. DJs, die mit ihren CDs hohe Verkaufszahlen erzielten, spielten eher das unbekannte Zeug von kleinen Labels, was nur auf Vinyl verfügbar war.

Ende der 1990er wurde dann das System immer weiter ausgehöhlt. D.h. man feierte zusammen, aber nicht gemeinsam. Damit will ich sagen, dass bereits da schon viele nur zum Feiern kamen, aber sich eigentlich wenig darum kümmerten, was da eigentlich lief.

Konsolidierung

Die Jahrtausendwende rüttelte gewaltig an den Grundfesten der Musikindustrie. Da war plötzlich dieses Internet für jedermann und um Techno aus Kanada zu hören, brauchte ich nicht mehr das teure Vinyl aus Übersee zu kaufen, sondern hörte in Netlabel-Releases rein, die gratis erschienen. Das trat den Labels heftig gegen das Schienbein. Wie konnte man eine Politik des Vinyls vereinbaren und gleichzeitig an der Zukunft mitwirken?

Zu wenig Dynamik hauchte vielen Labels das Leben aus und auch gleichzeitig erkannten die Netlabels, dass es auf lange Sicht nicht funktioniert, pausenlos gratis Musik zu veröffentlichen, wenn zwar die Leute ihre Freizeit investieren, aber Server und Bandbreite trotzdem Geld kosten. Diese Phase dauerte bis ins erste Jahrzehnt des neuen Jahrtausends hinein. Wo sich anfangs die Labels noch sträubten, die Digitalausgaben zum Vinyl mit dazu zu liefern, ist es mittlerweile schon fast üblich, dass es zu jedem Vinylrelease auch die passenden MP3s, WAVs oder FLACs gibt.

Gleichzeitig mussten die Netlabels erkennen, dass jetzt zwar jeder Musik veröffentlichen kann, aber sobald ich Geld dafür verlange, muss die Qualität passen. Die elektronische Musik veränderte sich nicht grundlegend, aber gewann an Tiefe – Techno wurde erwachsen. Aber auch die Zusammenarbeit änderte sich. Hatten die Produzenten vorher nur auf lokaler Ebene zusammengearbeitet, ging das plötzlich auf globaler Ebene. Das führte dazu, dass sehr hohe Qualität in einem breiten Spektrum möglich wurde. Künstler konnten gemeinsam die Tiefe ihres Genres ergründen. Natürlich gab es auch da Blindgänger, aber die gingen in der breiten Masse unter.

Da das Internet die notwendige Technik erforderte, waren PCs oder Laptops weit verbreitet, d.h. die Technologie zum Musik machen war überall vorhaben. Die Programme waren auch da und durch die Vielfalt entstand zugunsten der Anwender auch ein Preiskampf, der vielen ermöglichte, einzusteigen oder zumindest mal auszuprobieren. Doch was passiert, wenn die Zahl der die Musik machen und derer, die Musik hören immer näher kommen?

Abstieg

Es wurde und wird immer schwerer den Markt zu durchschauen. Die Vielfalt der DJs, Festivals wird immer größer und mich erreichten Releases, die Künstler beworben, von denen ich noch nie gehört hatte, die auf riesigen Festivals in Mexiko gespielt hatten. Damit man in diesem Wust überhaupt noch Beachtung findet, reichte es nicht mehr aus, nur Künstler zu sein. Ein entsprechendes Profil auf den sozialen Medien, das regelmäßig mit Inhalt gefüttert wird, wurde zur Pflicht.

Das führte bei vielen DJs zu einer Verstimmung, denn die neuen DJ-Pulte synchronisierten und mischten automatisch, man musste nur dahinter stehen, Knöpfe drücken und gut aussehen. Die DJs mussten sich nur noch mit minimalem Aufwand ums Auflegen kümmern und konnten zeitgleich genüsslich ein Video für Insta aufnehmen.

Unterm Strich ist das aber dem Großteil des Publikum komplett egal, denn die wollen auch nur posten, dass sie dabei waren. Also reagieren die Clubs mit No-Phone-Policys. Zusätzlich durch die Pandemie getriggert, müssen viele Clubs schließen. Schaut man sich heutige Sets an, findet man in letzter Zeit viele DJs, die auf einmal wieder anfangen, die Klassiker aus den 1990ern aufzulegen. Und dann stellt sich für mich am Ende die Frage: Wie soll das weitergehen?

Die Leute wollen nur feiern, die Künstler stehen vor der Schwierigkeit wirklich was bahnbrechendes abzuliefern, was nicht in irgendeiner Weise schon mal da war. Andererseits müssen die DJs auch mal was Neues spielen, sonst kann jeder mit dem gleichen Set aufwarten.

Fazit

Techno ist tot, habe ich am Anfang geschrieben. Natürlich ist Techno nicht tot, aber die Musik ist in einem Stadium angekommen, wo nichts mehr Neues passiert. Und das war der Anspruch, den sich die Bewegung anfangs auf die Fahne geschrieben hat bzw. so hatte ich es immer verstanden. Die Energie der Anfangsjahre ist verpufft und verliert sich im Status Quo. Hat man anfangs die Massen mit neuen Ideen begeistern können, verweist man jetzt auf damals und bringt es remastered als farbiges Vinyl neu heraus.

Jetzt stellt sich natürlich die Frage: Warum bringst du dann noch deine Plattenkiste heraus? Warum suchst du dir nicht was Neues, wo noch Bewegung drin ist. Meine Gegenfrage wäre dann: Was soll es denn sein? Techno wurde immer von der sich entwickelnden Computertechnik angetrieben. Könnte KI den nächsten Wurf landen? Mal sehen…

  1. Wenn Du über KI schreiben willst, solltest Du aber einen eigenen Feed anfangen. Ich meine, nicht dass Du von Musik zu KI überleitest. Das wäre in meinen Augen verkehrt, denn dann könntest Du diesen Beitrag auch über die Plattenkiste schreiben … vom Aufschwung bis zum Untergang. Aber ich geben Dir absolut Recht – es passiert einfach nichts mehr relevantes in der Welt des Techno. Daher habe ich mich in den letzten Jahren auch etwas umorientiert. Ich genieße elektronische Klänge noch immer, es darf aber gern auch mal eine etwas andere Gangart sein.

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