Im Orbit November 2022 ist wieder die volle Ladung an neuer Musik. Und zu meiner Überraschung auch jede Menge Labels, die sich musikalisch neu orientieren bzw. ihren Blick über den Tellerrand werfen. So hört man von Labels, die sich doch im House / Tech House-Sektor positioniert haben immer mehr progressive Töne. Oder wie es heute heißt: Melodic Techno.
Sasch – Losing You EP
Die Intention zur Losing You EP war für Sasch, dass er musikalisch eine Reise zurück ins Jahr 2012 machen wollte. Dort kam er das erste Mal in Kontakt mit Deep House und mit dieser EP wollte er den Spirit der damaligen Zeit wieder für sich einfangen. Dabei hilft ihm das Label Vibe Me To The Moon, das seine EP am 4. November veröffentlicht.
Hört man sich die drei Tracks an, fällt mir etwas anderes als Deep House ein. Ja, es ist Deep, hat aber auch einen Hauch von Progressive. Die Melodie ist leichtgängig und die Acid-Line im Hintergrund erinnert mich eher an 90er Jahre, als nach dem Beginn der zweiten Dekade des neuen Jahrtausend. Neben dem Instrumental Original gibt es noch einen Remix von MNTL, der den Acid-Effekt noch mehr in den Vordergrund holt und damit jenseits von Deep House ist. Dafür kommt der zweite Remix dieser Beschreibung doch wesentlich näher.
Serge Santiago – 11:11
Serge Santiago kommt aus Brighton und veröffentlicht am 11. November passend das Album 11:11 auf Jack Said What. Beschrieben wird es als Housealbum, aber was ich zu hören bekam, geht schon weit darüber hinaus. Sehr gelungen ist schon mal der Opener Rain, der mit einem dumpfen Gewittergrollen beginnt und schon mal den Weg für alle weiteren Tracks ebnet.
Der Ear Racer ist Track Nummer zwei und entspricht dann schon eher dem, was ich auf einem Housealbum erwarten würde. Die richtige Überraschung war Deception. Der Song fängt etwas flach an und zieht die Stimmung schon nach zwei Minuten enorm an. Die Stimme führt einen tiefer und tiefer und plötzlich ist man so gefangen, dass acht Minuten doch fast zu kurz sind.
Auch die restlichen Tracks halten dieses hohe Level. Am Ende bin ich etwas sprachlos, denn bei der ganzen Musik, die ich höre ist es doch eher so, dass ein Großteil der EPs eine gute Idee haben. Dort sind dann ein, zwei gute Tracks enthalten. Aber das Level auf einem gesamten Album so hoch zu halten ist schon beeindruckend.
Darksidevinyl – Red Face / Black Shine
Ich finde den Namen Darksidevinyl ziemlich beeindruckend. Klingt wie die finstere Seite der Musik. Aber davon sollte man sich von der neuen EP Red Face / Black Shine nicht beindrucken lassen. Anders als der Titel suggeriert sind drei Songs auf der EP enthalten, die am 11. November auf Yoshitoshi erscheint.
Mit intensiven Tribals wird der Track Red Face sehr lebendig. Dazu leichte Flötentöne aus dem Hintergrund verstärken den Dschungelcharakter. Das Erlebnis gibt es noch mit spanischen Sprachvocals. Macht das Ganze noch intensiver. Mein Favorit ist Black Shine, denn er hat wirklich etwas dunkles, aber gleichzeitig epochales. Und trotzdem ist der Track enorm gut tanzbar.
Davi – Nosferatu
Der Armenier Davi veröffentlicht seine neue EP Nosferatu am 11. November auf Crosstown Rebels. Seine Idee hinter den Tracks war, ein paar alte Ideen neu aufleben zu lassen. Einige angefangene Tracks liegen bei ihm schon seit 7 bis 10 Jahren auf der Festplatte. Mit der Nosferatu wollte er die alten Ideen neu aufleben lassen und den Tracks einen frischen Anstrich verpassen.
Jetzt ist Nosferatu nicht der Track, der seinem Namen alle Ehre macht. Ein bisschen dunkle Seite hat er schon, aber ist in allem doch ein ein wohlwollender Track für den Dancefloor. Auch hier ist die B-Seite mein Freund. Mirage ist etwas ruhiger, deeper und ich kann mich schon von den Echos treiben lassen.
Nicolas Masseyeff – Present feat. Kittin
Der Franzose Nicolas Masseyeff hat sich mit der Ikone Kittin zusammengetan und veröffentlicht am 11. November auf Systematic Recordings den Titel Present. Neben dem Original haben sich der Labelgründer Marc Romboy und Avision dazu gesellt, um Remixe abzuliefern.
Ich habe ja schon eine gewisse Vorstellung, was Tracks betrifft, die auf Systematic erscheinen. Jetzt war ich aber komplett überrascht, in den Downtempo-Bereich zu geraten. In Verbindung mit Kittins Stimme intensiviert sich der Eindruck noch mehr, denn es entsteht irgendwas zwischen verträumt und eindringlich. An der Stelle hätte mich der Kontext zu sehr interessiert.
Aber so höre ich weiter und zeige mich begeistert von dem Druck, den die beiden Techno-Versionen des Titels aufbauen. Nachdem ich die EP das erste Mal gehört habe, hing ich den Techno-Interpretationen an. Aber je öfter ich das Werk höre, desto mehr hinterlässt das Original seine Spuren in meinen Gehörgängen.
Nicolas Masseyeff – Endless
Jetzt habe ich gerade die Auskopplung Present gehört und hatte natürlich die Info, dass der Release die Vorankündigung für das Album Endless sein wird. Aber ehe ich das Werk so richtig verdaut hatte, lag das Album schon in meinem Postfach. Veröffentlichungsdatum soll der 25. November sein und wird natürlich, wie die Single, auf Systematic erscheinen.
Nach fast einem Jahrzehnt entschließt sich Nicolas Masseyeff nun wieder ein Album zu veröffentlichen. Jetzt wo ich den Titel Present schon kenne und der auch gleich der Opener des Albums ist, finde ich das Stück in diesem Kontext einfach perfekt. Man sollte in dem Zusammenhang ja nicht vergessen, dass das Label Systematic ja immer noch einen starken Bezug zu Techno hat.
Aber Alben sind da, um das Spektrum zu erweitern, deswegen dürfen es auch ruhige Töne sein. Es ist nicht immer nur Party. Nicolas sieht in dem Album etwas Zeitloses. Er beschwört die Liebe, sei sie nun real oder virtuell, zur Musik oder zu einer Person, die etwas Verträumtes und Reines hat. Ohne etwas zu hinterfragen, sondern einfach akzeptieren und wohlfühlen. Und diese Liebe hält ewig.
Rebellion presents Souls Vol. 3
Was die Spirits-Serie für Crosstown Rebels ist, stellt die Souls Compilation für das Sublabel Rebellion dar. Demzufolge erscheint am 18. November die Souls Vol. 3. Aber anders als das große Label, reduziert Damian Lazarus den Inhalt auf vier Titel.
Das Schöne an der Compilation ist, dass jetzt viele Label wieder den Spirit haben, ihre Compilations möglichst weit gefächert aufzustellen. Das ist vielleicht zum Teil damit begründet, dass House immer mehr von Techno-Elementen durchzogen wird und damit viele Grautöne entstehen. Und selbiges gilt natürlich auch für UK Garage und Melodic Techno bzw. Progressive House. Eine riesige Farbpalette die ein fantastisches Spektrum anbietet. Mein persönlicher Favorit ist Emma von Capoon. Der Track kommt deep daher, steigert sich aber immer weiter hinein und dazu kommt ein hypnotisches Vocal. Und ehe man es sich versieht, sind die knapp 9 Minuten vorbei.
Pale Blue – Dive
Wow, der Release hat mich richtig überrascht! Nachdem ich gesehen habe, dass ein neuer Release auf Crosstown Rebels ansteht, war ich auf eine Mischung aus House und/oder Techno eingestellt. Aber die Dive von Pale Blue war dann doch ganz anders als erwartet.
Pale Blue markieren mit dieser Veröffentlichung, die am 25. November erscheint, die Vorankündigung auf ihr Album, was nächstes Jahr erscheinen wird. Einen Teil von Pale Blue wird man sofort und sehr intensiv wahrnehmen. Die Stimme von Elizabeth Wight erzählt in Dive über eine Trennung. Wie man sich entfremdet und rückblickend vielleicht auch sich selbst fremd ist. Wie man merkt, dass man sich im Laufe der Zeit in unterschiedliche Richtungen entwickelt hat. Das muss nicht schlecht sein, schließlich bedeutet es, dass man selbst reift. Aber trotzdem ist es ein sehr emotionaler Prozess, den sie sehr gut einfängt.
Musikalisch kommt dann Mike Simonetti als andere Hälfte von Pale Blue zum Tragen. Er versucht intensive Töne zu wählen, lässt aber noch genug Raum für die Stimme von Elizabeth. Neben dem Original gibt es noch den Tranceadelic Mix. Und schon allein der Name hat mich aufhorchen lassen. Natürlich ist Trance nicht gleich Trance, aber kommt Suffix „adelic“, trifft es ganz gut, denn jetzt kommt noch eine hypnotische Komponente hinzu. Der letzte Mix bleibt näher am Original, aber wirkt sehr abstrakt, weil er die Stimme von Elizabeth verfremdet und durch einzelne Samples den Kontext des Songs im Grund genommen komplett aufhebt.
Robag Wruhme – Speicher 123
Gabor ist on fire. Mit seinem „Hauptpseudonym“ Robag Wruhme ist Gabor eine Konstante im deutschen House- und Technobereich. Für mich geht das zurück bis zu seiner ersten LP Wuzzelbud „KK“. Diese Scheibe ist schon legendär, weil er es sogar spielend schafft, Aphex Twin zu refenzieren, ohne dass es nach einer billigen Kopie klingt.
Mit seiner neuen Scheibe Speicher 123, die am 11.11. auf Kompakt erscheint, beweist er abermals sein Können. Der Titel Fire hat für alle etwas im Gepäck. Einen dröhnenden Partybass, ein Vocal, dass akzentuiert eingesetzt wird und einen Beat, der sowohl für daheim aber auch im Club funktioniert.
Gleiches gilt natürlich auch für die B-Seite. Aber die B-Seite ist immer das Stiefkind, was im Schatten steht. Völlig zu Unrecht. Warum nicht beide auf die A-Seite packen und die B-Seite leer lassen?