Die Ausgabe von Im Orbit Juni 2022 wird ein Experimentalbeitrag. Denn dieser Beitrag erscheint, kurz bevor ich in den Urlaub gehe. Von daher kann es sein, dass ich noch Reviews ergänze oder diesen Beitrag schreibe, während ich im Urlaub bin.
Concret feat. Golshifteh Farahani & Carlito Dalceggio – La Llorona
Für den Release La Llorona müssen wir etwas in die lateinamerikanische Folklore eintauchen. Es gibt mehrere Versionen der Geschichte, bei der es um eine Frau geht, die von ihrem Mann betrogen wurde, worauf hin sie ihre Kinder im Fluss ertränkt und sich anschließend selbst das Leben nimmt. So eine Variante der Geschichte. Seither wandert ihr Geist ruhelos und klagend in der Nähe von Flüssen umher.
Ihren Ursprung hat die Geschichte schon weitaus früher, deswegen heißt sie in Nahuatl Chokani. Umgesetzt wurde das Werk von Concret, hinter dem der Italo-Mexikaner Diego Angelico Escobar steht. Carlito Dalceggio schrieb ein Gedicht dazu, dass von Golshifteh Farahani vorgetragen wird. Das Gesamtwerk wird am 3. Juni auf Rebellion erscheinen.
Die ganze Vorrede ist natürlich notwendig, um das Werk besser verstehen zu können. Golshiftehs Stimme verleiht dem Werk etwas Rituelles, während die Musik in den drei Versionen diesen Eindruck intensiviert.
Parallells – Ashes Of Snow (The Rebirth Of The Phoenix)
Ich mag den Gedanken, dass alles was vergeht, irgendwie die Basis für etwas Neues ist. So wie Sterne sterben mussten, damit Planeten entstehen, die Leben gebären. Jetzt muss man diesen Gedanken nicht so universell greifen, es reicht auch schon etwas kleiner.
Parallells mussten mit Bestürzung vom Brand ihres Lieblingsclubs Yamba in Caparica (bei Lissabon) im Mai 2021 hören. Dort waren sie öfters live zu sehen. Um so näher ging ihnen diese Nachricht. Doch sie nutzten diese kreative Energie und schrieben Ashes Of Snow (The Rebirth Of The Phoenix). Diese Scheibe wird am 10. Juni auf Crosstown Rebels erscheinen.
Musikalisch bilden die beiden Tracks Ashes Of Snow und On The Banks Of The River eine Einheit. Während Ashes Of Snow das Ereignis an sich verarbeitet, steigt der zweite Song dem Bild des Phönix entsprechend aus der Asche empor. Deswegen ist Track 1 eher ruhig gehalten, wobei On The Banks Of The River das Neue und Wiedergeborene verkörpert. Und zur Neutralisierung dieses emotionalen Themas gibt es noch den Remix von Clive Henry.
Crosstown Rebels Present Spirits V
Seit 2017 erscheint auf Crosstown Rebels die Compilation Serie „Spirits“. Auch 2022 wird diese Tradition fortgesetzt. Auch wenn der Umfang der Compilation dieses Jahr mit 8 Titel etwas geringer als die Spirits IV mit ihren 12 Tracks ausfällt, mindert das ihre Qualität nicht im mindesten.
Für Labelchef Damian Lazarus ist die Zusammenstellung der Tracks und die Auswahl des Künstlers für das Cover ein Highlight des Jahres. Er kämpft sich jedes Jahr durch jede Menge Material, dass von er von bekannten, aber auch jungen Künstlern zugeschickt bekommt und versucht eine Balance zwischen dem Sound, den sein Label für dieses Jahr kennzeichnet, die Musik von morgen, aber auch den Underground nicht zu kurz kommen zu lassen.
Die Spirits V wird am 17. Juni zeitlich mit dem Event Get Lost Barcelona OFFSónar veröffentlicht werden. Als Host dieses Events wird es sich Crosstown Rebels nicht nehmen lassen, die enthaltenen Tracks zu Gehör zu bringen.
Mephisto – State Of Mind (Gorgon City Renaissance Remix)
Ein neuer Release auf Renaissance Records steht an und gleichzeitig ein sehr alter. Dabei finde ich neben dem Track die Geschichte sehr interessant. Ende der 80er Jahre entsteht mit Italo House eine Musikrichtung, welche den Sound der jungen House-Szene aufgreift und mit leichten, eingängigen Melodien oder Piano-Hooks erweitert. Das Ergebnis ist Dancefloor tauglich. Als Beispiel seien hier FPI Project genannt.
1992 erscheint dazu von Mephisto der Track State Of Mind. Dieser ist auch auf einem Mixtape von John Digweed und Sasha enthalten, einem der ersten Releases auf Renaissance Records. Es erscheint unter dem Namen „Renaissance: The Mix Collection“. Das Sample „The beat that will not be denied“ kommt mir doch sehr bekannt vor.
30 Jahre später greifen Gorgon City den Titel erneut auf. Das Projekt „The ReMix Collection“ entsteht. Mit seinem Basslauf kommt der Track schon seiner damaligen Zeit sehr nahe. Aber trotzdem wirkt der Song frisch und brandneu. Und nicht zuletzt gehen alle Hände in die Luft, wenn der lange Break einsetzt. Trotzdem muss man sich bis zum 3. Juni gedulden, bis der Track erscheint.
Ost & Kjex – Songs From The End Of The World
Im ersten Überfliegen des Titels Songs From The End Of The World entstand sofort eine Assoziation zu Mobys „Fast Songs About The Apocalypse“. Aber From steht da mehr im geographischen Bezug und spielt auf die Lage Norwegens als eins der nördlichsten Länder, aus denen tanzbare Musik kommt. Mit dem allgemeinen Vorurteil, dass dort sowieso alle nur Death Metal hören.
Dass dem nicht so ist, beweisen Ost & Kjex mit ihrem Album, das am 24. Juni auf Snick Snack Music erscheint. Blickt man auf die Geschichte der beiden zurück, findet man zwei Alben auf Diynamic Music und eine gemeinsame Musikgeschichte, die bis 2004 zurück reicht. Und das letzte Album ist nun auch schon 7 Jahre her.
Im Vorfeld zur Albumsveröffentlichung erscheinen schon mal die Titel „The Gallery“, „Mountain Girl“ und „She’s not from Spain“. Beim ersten Durchhören hatte ich viel Spaß. Es ist abwechslungsreich, auf jeden Fall tanzbar. Von daher ist es kurzweilig.
Jamie Jones – Bionic Boy
Ich finde das Label Hot Creations mit ihren Releases schon sehr interessant. Noch interessanter wird es, wenn der Labelchef Jamie Jones am 10. Juni höchst persönlich veröffentlicht. Schließlich habe ich an dieser Stelle die Erwartungshaltung, dass der von ihm präsentierte Sound gleichzeitig Aushängeschild für das Label ist.
Von daher lasse ich die Scheibe laufen und schreibe gleichzeitig den Text dazu. Der erste Track Bionic Boy bildet gleichzeitig auch den Namen des Releases. Im Grund bleibt der Track ziemlich trocken und für meinen Geschmack zu simpel bis überhaupt irgendwas passiert. Ziemlich schnell stößt man auf das gehäckselte Vocal von Brandy & Monicas Klassiker „The boy is mine“. Nicht, dass es extrem verzerrt ist, es wird inhaltlich in kleine Schnipsel zerlegt und wieder zusammengefügt. Damit wäre der Boy im Titelnamen geklärt und durch die Behandlung des Samples wirkt es sehr mechanisch und künstlich. Von daher – Ziel erfüllt, Sinn erkannt.
Was mich bei allen Tracks stört und damit will ich auch mal Kritik in meinen Reviews üben, ist die Monotonie der Tracks. Als Kind der 90er fand ich es schwierig, wenn man unmittelbar mit dem Thema des Tracks konfrontiert wurde. Aber dass bei einem 6 Minuten Songs, die ersten und die letzten anderthalb Minuten relativ wenig passiert, nur damit man es einfach beim Mixen hat, lässt die Tracks sehr blass erscheinen. Das wird noch deutlicher, wenn die Tracks ziemlich minimalistisch sind, wie die hier vorgestellten.
Things You Say – Thank You Baby / Play The Drums
Palm Recs meldet sich auch mal wieder. Mit Things You Say kommen junge Talente zum Vorschein. Sie sind seit 2021 aktiv und machten das erste Mal auf sich aufmerksam, als sie einen Track von Grimes (ja genau die Grimes, die mit Elon Musk Kinder hat) remixten. Und nun erscheint Thank You Baby / Play The Drums am 24. Juni.
Musikalisch sind wir im House-Bereich unterwegs, wobei bei Thank You Baby noch dazu eine große Disco-Kugel über unseren Köpfen dreht. Sehr eingängiges Vocal, sodass der Track gut im Kopf hängen bleibt. Die oft so unterschätzte B-Seide bringt und Play The Drums. Ein Song, der sich nicht verstecken muss, denn er hat alles, was ein guter Party-Track braucht: Fetter Beat, eingängiges Vocal und einen Break, der mitreißt. Leider fehlt zumindest ansatzweise eine Hookline.
Adam Ten – 15 Days EP
Im August letzten Jahres wurde das Label Maccabi House von Adam Ten gegründet. Mit Release Nummer 8 veröffentlicht Adam am 17. Juni das erste Mal selbst auf seinem eigenen Label. Neben dem Titeltrack 15 Days gibt es noch zwei weitere Tracks, sowie einen Remix von Bonafique.
Adam beschreibt die Musik seines Labels als House mit einem Hauch Ethno und Psychedelic oben drauf. Und nach diesem Motto hat er die Tracks auch ausgewählt, die auf der 15 Days EP gelandet sind. Sie sollen gleichzeitig Adams Vorstellung von Dance Music sein, aber auch die Richtung vorgeben, in welche sich Maccabi House entwickeln soll.
Merkwürdigerweise ist 15 Days der einzige Track, der mir nicht so richtig liegt. Mir gefällt die verträumte Stimmung in Speak Out Your Soul, ich mag den Basslauf in Contra Bass, der sich hervorragend eignet, um für einen Song vorzuheizen, der die Spannung mit einen langen Break bricht. Und die Bassdrum vom Remix von Bonafique lässt alte Erinnerungen in mir aufkommen, als es Songs gab, deren Bassdrum so dünn klang, als hätte man den Tieftöner abgeklemmt.
Martin Badder & Stealth – Another Life
Vielleicht sollte ich immer die ersten Eindrücke aufschreiben. Dann kommt neben den inhaltlichen Informationen auch noch eine Menge musikalischer Gedanken dazu. Dann wenn ich das Original von Another Life höre, muss ich unwillkürlich an Deep Forests Sweet Lullaby denken. Natürlich ist der Track moderner. Also Sweet Lullaby meets EDM.
Das Schöne an dem Track ist, dass man das Vocal sofort verinnerlicht, aber auch schlecht verballhornen kann, was ein gutes Indiz ist, dass es kein Schunkel-Hit wird. Mit diesem Song wollen Martin Badder & Stealth ein Stück Musik schaffen, das gleichzeitig melancholisch, aber mit einem Funken Hoffnung ist. Und während ich noch über Millero’s 6 am Mix brüte, hat sich die Stimmung Richtung Dancefloor gewandelt.
Gespannt warte ich auf den Deeper Mix, der wieder Melodic Techno verspricht. Und Melodic Techno ist nichts anderes als das, was man Mitte der 90er als Trance bezeichnet hat. Nur, dass es nichts mit dem Trance von heute zu tun hat. Aber der Mix bleibt doch etwas hinter meinen Erwartungen zurück, die von dem Millero Mix besser bedient wurden. Trotzdem haben Renaissance Records wieder ein gutes Händchen mit dem Release gehabt, der am 17. Juni erscheint.
Amémé – Drum Beat
Wer auf intensive Drums und Percussions steht, sollte sich den Release von Amémé vormerken. Der erscheint am 24. Juni auf Crosstown Rebels. Dazuw wird es auf der Drum Beat auch noch einen Remix von Joeski geben.
Amémé kommt aus Benin und bringt viele westafrikanische Einflüsse mit in seine Musik. Auch wenn neben Drum Beat mit Loca auch ein spanisch angehauchter Track dabei ist, sind beide Track unt er dem Dach des House vereint.
Zum Titeltrack Drum Beat meint Amémé, dass damit seine musikalischen Wurzeln und seine aktuellen Ideen von Musik umgesetzt werden. Und genau so kommt der Track auch rüber. Jede Menge afrikanische Rhythmen kombiniert mit einem Vocal, dass perfekt zu den Trommeln passt. House-Veteran Joeski bleibt mit seinem Remix dem Original doch ziemlich nahe und verschiebt den Fokus noch mehr in Richtung Dancefloor.
Miraclis – Trapped
Crosstown Rebels hat ein weiteres Sublabel – Secret Teachings. Mit dem zweiten Release erscheint dort am 24. Juni die Trapped von Miraclis. An der EP finde ich zwei Fakten interessant. Micraclis und Labelchef Damian Lazarus haben sich durch einen merkwürdigen Umstand kennen gelernt. Damian hatte sich aus seinem Hotelzimmer ausgesperrt und stieß deshalb an einem Lagerfeuer auf Miraclis. Der lud ihn in sein Haus ein und beide tauschten Ideen und Musik aus. Vielleicht deshalb die Referenz des Covers.
Der Titel Trapped spielt auf die Zeit der Pandemie und Miraclis‘ Heimat Pucón in Chile an. Im Sommer kommen viele Touristen für Outdoor-Aktivitäten am Fuße des Vulkans Villarrica. Aber im Winter ist es eine trostlose Zeit, denn es ist kalt und regnerisch. Dazu kommen gelegentlich Stürme bis 120km/h. Zusammen mit dem Fakt, dass Miraclis‘ Vater ein Hochrisiko-Patient ist, formte sich das Konzept zu Trapped bzw. zu allen weiteren Titeln, die auf dem im Juli erscheinenden Album zu finden sein werden.
Blickt man auf die musikalischen Referenzen von Miraclis, liest man Namen wie Depeche Mode, Massive Attack und Nine Inch Nails. Als das fügt sich zum melancholischen Titel Trapped zusammen. Dazu gibt es auf der EP noch zwei Remixe von Matthew Dear aka Audion. Der nimmt den Fokus weg von der Melancholie, lässt trotzdem Raum für die Stimme und macht daraus einen extrem tanzbaren Track.
Needs x Green Vinyl present The Future Of Vinyl Pt. 2
Fangen wir mal mit einem Problem für Musikliebhaber an, vor dem ich auch stand. Physische Tonträger haben zwei große Nachteile. Zum einen nehmen sie enorm viel Platz weg und zum anderen kommt da der Umweltaspekt, bedenkt man den Einsatz von Plastik (und damit von Erdöl), Verpackung und Versand.
Dagegen sprechen die Erinnerung bzw. die Haptik. Ich erinnere mich viel besser, wenn ich vor meinen Augen das Cover der Platte habe, die ich gerade aufgelegt habe. Spiele ich ein MP3 ab, sehe ich das Cover nur als Mini-Icon. Dazu kommt noch, dass ich die Scheibe wirklich in den Händen halte und nicht nur eine Datei aus einem Ordner anklicke. Ganz zu schweigen, wenn es ein Gatefold gibt oder die CD vielleicht ein Booklet hat.
Die Vorrede diente jetzt nur dazu, um zum zweiten Teil der Needs x Green Vinyl zu kommen. Das Label Needs – No Need For Profit und das holländische Presswerk Green Vinyl werden am 24. Juni mit Needs x Green Vinyl present The Future Of Vinyl Pt. 2 diese Compilation auf ein neues Level heben.
Nicht nur, dass die Vinylausgabe vollständig recyclebar ist, kein PVC verwendet, länger hält, besser klingt und weniger Energie bei der Herstellung braucht, ist der Sound noch um Längen besser geworden. Acidlastige Breakbeats, deeper House und Techno verlocken zum kaufen. Und richtig gut wird die Compilation erst, wenn man ganz auf Vinyl verzichtet. Dann gibt es statt der vier Tracks gleich ganze acht Werke.