Kaum ist der Sommer vorbei, schon sprießen die Herbstveröffentlichungen aus dem Boden, wie Blumen im Frühling. Es gab einige Überraschungen in der Plattenkiste September 2018, z.B. Khan mit seinen alten Tracks oder Chris Liebing bzw. Command Strange mit ungewohntem Stil. Dazu gesellten sich Musiker, die in gewohntem Maße guten Output liefern (Deepchord, Pola & Bryson). Jedoch beginne ich zu hinterfragen, warum ich mir die EPs von Aphex Twin kaufe, auch wenn sie mich nicht mehr begeistern, aber z.B. die von Burial nicht.
Laut einer Studie hört man mit Anfang 30 auf, neue Musik zu entdecken. Um so mehr bin ich froh, dass ich im September nthng für mich entdeckt habe. Interessanter Sound, der viel für die nächste Zeit verspricht.
Jon Hopkins – COSM (Daniel Avery Remix)
Vom Stil sind Daniel Avery und Jon Hopkins ja schon ähnlich. Was liegt dann also näher, wenn einer einen Track des anderen remixed. Es gibt diverse Ausgaben dieses Remixprojekts, aber da das eine Label übergreifende Geschichte ist, erschienen die Tracks auch einzeln. Wohl besser so, denn der Gegenpart ist bei weitem nicht so gut gelungen, wie dieser Track. Langsam und funkelnd wie die Sterne in einer kalten Winternacht.
Future Sound Of London – Archived 9
Wenn ich mal ihre Hippie-Alben außer acht lasse, dann haben The Future Sound Of London eigentlich einen Lifetime-Award verdient. Seit den frühesten 90ern veröffentlichen sie einen Sound, der in seiner Art so konsequent ist, dass er einen hohen Wiedererkennungswert hat, aber jedes Album ist für sich so einzigartig, dass man es unbedingt haben muss. Vielleicht liegt es daran, dass es so organisch klingt, als würde man jeden Menschen auf diesem Planeten vertonen. Wir sind alle ähnlich, aber doch ist jeder irgendwie anders. Wer Interesse hat, sollte das Album auf jeden Fall direkt bei Future Sound of London kaufen, da man beim Kauf gleich noch zwei Tracks bekommt, die nur auf Vinyl erschienen sind.
Chris Liebing – Burn Slow
Es gab in den sehr frühen 90ern einen Titel von Phantasia der „Inner Light“ hieß. Es war sehr subtiler Techno, auf der eine hypnotische Stimme etwas erzählte. Ähnlich geht es jetzt hier auf dem neuen Album von Chris Liebing ab. Kein knochentrockener Knüppeltechno, sondern statt dessen Kollaboration mit Ralf Hildenbeutel. Ja, genau der Frühe-90er-Sven-Väth-La-Esperanza-Hildenbeutel. Es gibt keinen Titel, den ich rauspicken würde, weil man sich in diesen Rausch reinhören muss.
Eon – Spice
Meine Güte ist das Ding alt! Das Original erschien 1990. Ich habe es irgendwann bei Marusha aufgenommen. Damals gab es noch keine Playlists und solche Tracks zu entdecken ist mehr oder weniger eine Geschichte des Zufalls. Und wie genau dieser Zufall so will, stolpere ich bei discogs.com über den Track und bemerke: Hey, der wurde 2013 sogar digital wiederveröffentlicht. Erinnerungen werden wach, denn das Teil hat ziemlich viele Samples vom Dune-Film. Hammerteil, besonders der „Mix with notes“.
nthng – The Traveller
Es klingt zu Beginn ein bisschen wie Synthie-Blasinstrument, aber relativ schnell setzt ein Bassdrum-Feuerwerk ein, dass sich wieder beruhigt. Es war aber nur sehr unterschwellig. Und dann muss man seinen Geist nur loslassen und schon fliegt er dahin. Denn er hat knapp 11 Minuten Zeit. Was das unglaublich schöne an dieser EP ist, dass sie genau so gut hätte 1995 erscheinen können und keiner würde es merken. Erstklassiger Trance, der mich zu Teilen an Harthouse erinnert.
Khan – Lost Acid Tapes 92-96
An Khan kann sich wahrscheinlich keine mehr so richtig erinnern. Khan ist der Bruder von Cem Oral, der als Jammin‘ Unit bekannt war. Jammin‘ Unit bildete zusammen mit Walker die Band Air Liquide. Das war für mich Mitte der 90er die Krönung der Acidkultur. In dem Zeitraum war im Raum Köln einiges los in Sachen Acid. Nicht zuletzt war da ein Wolfgang Voigt mit tausenden Monikern unterwegs. Aber so viel zum Umfeld. Wer Khans Album „Electricity“ von 1996 gut fand, wird dieses Teil hier lieben.
Deepchord – Immersions
Bei Deepchord muss ich nicht mehr viel schreiben, entweder man kennt und mag es, oder lässt es bleiben. Beide Tracks sind zusammen 35 Minuten lang und obwohl jeder Titel über 17 Minuten geht, ist es ziemlich Uptempo, aber ohne den Flow und die Tiefe des Dub-Techno zu beleidigen.
Pola & Bryson – Lost In Thought
Pola & Bryson sind der Schmuseexport von Shogun Audio. Mittlerweile hat Drum’n’Bass einen Grad erreicht, der so soft ist, dass er schon fast als Pop-Musik durchgeht. Es gibt Gesang, angenehmes Pianogeklimper und/oder eingängige Hooklines. Ausnahmen aus diesem Brei sind bei diesem Album „Waves“ und „Stratford Riddim“. Ich meine das alles nicht negativ – es ist wunderschön, aber genau das habe ich erwartet.
Aphex Twin – Collapse EP
Wo ich von der Ankündigung einer neuen Aphex Twin EP hörte, war mir die ganze Marketing-Geschichte schon zuwider. Natürlich ist Aphex Twin keine Rihanna, aber Warp weiß, was sie an ihm haben. Von daher wird da ordentlich Geld reingesteckt, weil der Rückfluss schon fast garantiert ist.
Aber musikalisch war ich überrascht. Ich fand das Video sehr ansprechend und ich ahnte schon, dass es nicht einfach wird, T69 Collapse ohne Video zu verarbeiten. Schwere Kost. Aber in Summe eine sehr schöne EP, denn zu dem mittlerweile gewohnten Analog-Sound kommen Anleihen hinzu, die man von Drukqs oder Richard D. James Album kennt.
Command Strange – Improbably EP
Manchmal erlebe ich noch kleine Überraschungen, die mich freuen. Und als ich sah, dass es eine neue EP von Command Strange gibt, dachte ich, dass es wieder eine Ladung Bratzebrum-Drum’n’Bass wird. Aber nein – leichte Kost, Big Band, mit Vocals. Sowas kommt eigentlich im Frühling gut, geht aber auch im sonnigen Herbst.
nthng – Turn To Gaia
Nachdem ich „The Traveller“ entdeckt hatte, machte ich mich auf die Suche nach den vorher erschienenen Werken. Und stolperte über Turn To Gaia auf Delsin. Vom heutigen Standpunkt aus gesehen ist dieser Release ein würdiger Vorgänger. Es hat den typischen Delsin-Sound, enthält – noch subtil – die Trance-Elemente, die ich bei „The Traveller“ so mag. Ich will nicht von einem Mischprodukt reden, dafür ist z.B. „A Souls Search“ viel zu schön. Wahnsinnig schöner Ambient!
nthng – It Never Ends
Noch vor „The Traveller“ und „Turn To Gaia“ erschien auf Lobster Theremin das Album It Never Ends. Und auch hier schlägt das Album eine Brücke. Es enthält so viele Referenzen – zu House, Techno, Dub-Techno, Ambient. Es zeigt sich vielseitig, aber gibt jedem Genre genug Raum. Im Vergleich zu den beiden EPs zieht es natürlich den kürzeren, weil es noch nicht so ausgereift erscheint, aber es gefällt mir trotzdem.
Brendon Moeller – Set In Motion
EchoChord hat ein Sublabel – Echo Echo. Noch relativ jung, aber schon sehr dubtastisch. Das Jahr des Dubs hält an. Besonders angetan bin ich von Track #2 „Economy“, der eine schöne Tiefe erzeugt, die ich eigentlich nur von den „Vibrant Forms“ kenne.
Wehbba – Eclipse EP
Die Kost von Drumcode kann ziemlich trocken sein, aber die vier Tracks von Webbha bilden eine angenehme Abwechslung. Ich will nicht sagen, dass sie melodiös sind, aber sie haben einen guten Abgehfaktor.