Auf Renés Empfehlung schnappte ich mir mal Haruki Murakamis Kafka am Strand. Ich muss vorwegschicken, dass ich gegenüber Murakami skeptisch geworden bin. Wer hofft, bei Murakami einen Eindruck japanischer Kultur oder Tradition vermittelt zu bekommen, wird hemmungslos enttäuscht. Da Murakami selbst sehr lange in Europa und Amerika war, haben seine Charaktere einen westlichen Anstrich und sind damit in Geschichten, die in Japan spielen, fehl am Platz. Aber das war nicht der Punkt, an dem meine Kritik an „Kafka am Strand“ ansetzt.
Das Buch erzählt die Geschichte eines 15-jährigen Jungen, der von daheim und vor einer Prophezeiung wegläuft, einige merkwürdige Begegnungen hat und dabei sich in das 15-jährige Abbild einer Frau verliebt, die mittlerweile 50 ist. Dabei verschwimmen die Grenzen zwischen Traum und Realität immer mehr. Parallel dazu wird die mysteriöse Geschichte des Nakata erzählt, der in jungen Jahren alles vergaß, aber mit Katzen zu reden lernte und sich so einen Nebenverdienst verschafft, indem er verschwundene Katzen zu ihren Besitzern zurück bringt, bis er eines Tages auf die Spuren eines Katzenmörders kommt…
Ich gebe an dieser Stelle wieder eine obligatorische Spoilerwarnung aus, denn wer das Buch selbst lesen möchte, sollte an dieser Stelle stoppen. Wie auch bei den anderen Büchern zuvor, schafft es Murakami die Leser mit diesem Buch zu fesseln. Er verfolgt, wie auch schon bei „Hardboiled wonderland“ zwei Handlungsstränge, nur dass sie in diesem Fall nie zueinander finden, auch wenn sie sehr dicht beieinander liegen.
Das Buch beginnt mit einem Dialog zwischen dem Hauptdarsteller und – wie es scheint – seinem Freund Krähe. Der Hauptdarsteller stellt sich später im Buch als Kafka Tamura vor, wobei Kafka auf tschechisch Krähe bedeutet. Letztendlich unterhält sich der Junge mit seinem inneren Ich. Kafka kommt aus einem Haus, wo er mit seinem Vater lebt. Mutter und Schwester hat er zwar, aber er hat sie nie kennengelernt. Und nachdem sein Vater kaum für ihn da ist, beschließt er von daheim abzuhauen. Auf seinem Weg lernt er eine junge Frau kennen, von der er denkt, dass sie seine Schwester sein könnte. An seinem im Buch bestimmten Zielort angekommen, geht er täglich in eine Bibliothek und liest dort sehr viel bzw. unterhält sich mit dem Bibliothekar. Seine Übernachtungen finden erst in einem Hotel statt, später kommt er bei seiner vermeintlichen Schwester Sakura unter, wo er aber sehr schnell wieder aufbricht, weil er sie sexuell sehr anziehend findet. Während dieses Aufenthaltes hat er einen Blackout und wacht in einem Schrein blutbefleckt wieder auf, aber es ist nicht sein Blut. Die nächste vorübergehende Unterkunft ist eine Berghütte weit ab der Zivilisation, die dem Bibliothekar gehört. Dort kommt er vorübergehend unter, bis ihm die Leiterin Unterschlupf in der Bibliothek gewährt. Kafka erfährt, dass die Leiterin untersterblich in den Sohn der Familie der die Bibliothek gehört, verliebt war, der später im Krieg umkam. Sie hatte einen großen Hit mit „Kafka am Strand“, einem Lied, dass auch der Titel eines Bildes ist, dass im Zimmer des verstorbenen Sohnes hängt. Für ein paar Jahre war sie dann verschwunden und kehrte dann an den Ort zurück und wurde Leiterin der Bibliothek. Der Junge ist fasziniert von der Geschichte und verliebt sich in das 15-jährige Abbild der Leitern, dass er des Nachts auch in seinem Zimmer sieht. In seinen Träumen hat er Sex mit der 15-jährigen, später auch real mit der richtigen Leiterin, der er später eröffnet, dass er vermutet, sie wäre seine Mutter. Als bekannt wird, dass sein Vater ermordet wurde, muss er wieder in die Berghütte fliehen, obwohl er ein Alibi hat. Allein in der Natur wagt er sich immer tiefer in den dunklen Wald, um dann zwei Soldaten zu treffen, die in den Bergen vermisst wurden. Diese begleiten ihn über die Grenze in ein abgelegenes Tal ohne Zeit. Dort trifft er das 15-jährige Mädchen wieder, denn in der Zwischenzeit ist auch die Leiterin der Bibliothek eines natürlichen Todes gestorben. Diese schickt ihn wieder zurück, solange das Tor noch offen ist.
Der zweite Handlungsstrang beginnt mit Geheimberichten, die von einem mysteriösen Zwischenfall berichten, wo eine Schulklasse mitten im Wald plötzlich stundenlang ohnmächtig wird und wenig später wieder erwacht, ohne sich an etwas erinnern zu können. Einzig die Lehrerin bleibt von der Ohnmacht verschont. Nur einen Schüler trifft es besonders hart, er wacht erst Wochen später wieder auf und kann sich an garnichts mehr erinnern, weder seinen Namen noch an einfach Dinge wie Lesen und Schreiben. Damit landet der Strang in der Gegenwart, denn ab dem Zeitpunkt wird der Lebensweg von diesem Jungen, der mittlerweile 60 Jahre alt ist, verfolgt. Nakata kann zwar nicht Lesen oder Schreiben, aber mit Katzen reden und findet auf diesem Weg die verlorenen Katzen von Familien wieder. Eines Tages verfolgt er die Spur einer Katze, wird aber von anderen Katzen gewarnt, dass es sehr gefährlich werden könnte, weil sich dort ein Katzenmörder herumtreiben soll. Dieser lässt auch nicht lang auf sich warten und holt ihn mit Hilfe eines großen, gefährlichen Hundes zu sich. Dort erzählt er ihm, dass er aus den Seelen von Katzen eine Flöte baut, mit Hilfe dessen man Seelen von Menschen gefangen nehmen kann, mit deren Hilfen man eine noch größere Flöte bauen kann, um noch mächtigere Seelen zu fangen. Und so beginnt die Gestalt, die sich Johnnie Walker nennt, die Katzen abzuschlachten, ihr Herz zu essen und ihre Köpfe abzusägen. Das macht er nur, um Nakata zu provozieren, denn Johnnie Walker ist es Leid, Katzen zu töten. Also stürzt sich Nakata auf ihn und ermordet ihn. Als Nakata wieder aufwacht, liegt er an der Stelle, wo er auf die Katze gewartet hat, keine Spuren von dem Mord an sich und neben sich zwei Katzen, die er vor den Fängen von Johnnie Walker gerettet hat. Mit denen kann er plötzlich nicht mehr reden, dafür kann er es in gefährlichen Situationen Sardinen, Makrelen oder Blutegel regnen lassen. Denn er macht sich auf den Weg, obwohl er nicht weiß, wohin er soll. Auf seinem Weg lernt er einen Fernfahrer kennen, der ihn begleitet und deswegen auch seine Arbeit sausen lässt. Da Nakata sich nicht recht zu helfen weiß, übernimmt der Fernfahrer die Arbeit und erfährt, dass er ein Tor öffnen muss, was sich als Stein eines Schreins zeigt. Geholfen wird ihm dabei von Colonel Sanders (bekannt als das Gesicht von KFC). Er öffnet das Tor, aber es passiert nichts. Letztendlich gelangen sie noch an die Bibliothek, wo sich Kafka aufhielt, der aber inzwischen in den Bergen ist. Nakata äußert noch inständig den Wunsch, wieder so zu werden, wie er es als kleiner Junge war und legt sich hin. Als Nakata stirbt, ist es an dem Fernfahrer, die Arbeit zu beenden. Er kann plötzlich auch mit Katzen reden und schließt dann wieder den Eingang, indem er den Stein des Schreins wieder umdreht.
Ich habe es genossen, das Buch zu lesen, bis auf die letzten Momente, wo es absolut undurchsichtig wurde. Neben dem gesamten Fantasiethema auch die Themen Geschwisterliebe und Sex mit der Mutter direkt anzusprechen und wenn auch träumerisch zu skizzieren, sind ein sehr gewagtes Mittel. Wohl auch die einzige Möglichkeit, denn wenn man den zweiten Handlungsstrang betrachtet, der inhaltlich zusammenhangslos zusammengestückelt erscheint und dabei auch auf jeglichen Ansatz von Begründungen verzichtet. Oder es wurde das falsche Maß angesetzt, denn wenn man über mehrere Kapitel in die Thematik der ohnmächtigen Kinder eingeführt wird, erwartet man auch ein „Warum?“ Genauso verhält es sich mit dem Tod von Nakata, der plötzlich stirbt. Wie auch das Erscheinen von Johnnie Walker, der wohl Kafkas Vater repräsentiert und der Junge durch Nakata seinen Vater tötet. Soweit lässt sich noch eine Verbindung zwischen den Handlungssträngen ziehen, aber ansonsten finden sich kaum inhaltliche Zusammenhänge. Also auf mich wirkte das Buch im Abschluss wie eine wahllose Zusammenwürflung von Fantasiethemen, die zwar hochgradig spannend ist, aber mehr Fragen übrig lässt, wie einen Aha-Effekt am Ende des Buches zu erreichen.