Von meiner Freundin bekam ich letztens Paulo Coelhos „Veronika beschließt zu sterben“ zu lesen. Bevor ich näher auf den Inhalt eingehe, verschwand ich vorhin für einen Moment in einer Welt der Metabuchbesprechung und machte mir Gedanken über das Buch an sich. Paulo Coelho wird auf der Rückseite als einer der meistgelesenen Autoren Lateinamerikas bezeichnet und in mir tauchte das Bild der Buchveröffentlichung auf. Wurde dieses Buch in seiner Heimat auf Papier gedruckt, dass aus den Stämmen gerodeten Regenwaldes hergestellt wurde? Denkt man über so etwas nach, wenn es sich in dem Buch um ein Menschenschicksal handelt? Was hält ein Ureinwohner Amerikas von so einem Roman, wohlwissend, dass er Teil einer Geschichte ist, die einen millionenfachen Tod seiner Vorfahren hinter sich hat?
Das Buch handelt nicht vom Tod eines Menschen, sondern vom Leben bzw. was man daraus macht. Für Freunde, die sich „Carpe diem – Nutze den Tag“ auf das Banner des Lebens geschrieben haben, wird dieses Buch eine wahre Bereicherung sein. Mach etwas aus deinem Leben, versuch nicht, dich anzupassen, sondern mach Dinge, bei denen dich andere vielleicht für verrückt erklären. Denn „verrückt“ ist nur, was nicht der Norm der Mehrheit entspricht. So könnte man den Inhalt des Buches zusammenfassen, ohne zu viel vom Inhalt zu verraten.
Wichtig ist mir an dieser Stelle noch meine persönliche Ansicht zum Buch bzw. zu seiner Aussage zum Ausdruck zu bringen. Ja, es ist gut, nicht der Mehrheit zu entsprechen, seine eigenen Gedanken zu haben, diese auf seine Art zu äußern und andere daran teilhaben zu lassen. Ja, es ist wichtig, dass man diese Gedanken äußert. Nichts wäre schlimmer, wenn Mozart nie eine Note zu Papier gebracht hätte oder Einstein seiner Karriere im Patentamt den Vorrang gegeben hätte. Und noch besser ist es, wenn sich Gruppen bilden, die diese Ideen teilen, sie weiterentwickeln, leben und verbreiten. Und an dieser Stelle geraten wir Bereich, wo Individualität zu etwas negativem wird. Nämlich genau an der Stelle, wo ich nicht nur meine Gedanken äußere, sondern versuche, anderen mein Bild aufzudrücken und wo die Gruppenbildung zum Gruppenzwang wird. Im Laufe der Zeit tauchte dieses Verhalten mit unterschiedlichen Namen auf – früher hieß es Propaganda, heute nennen wir es Marketing. Aber genau dann wird Individualität wieder zu einer Waffe, die sich gegen den Gruppenzwang erhebt.
Wie man wohl merkt, Individualität hat Vor- und Nachteile und kämpft mit ihrer Grenze, wo sie verschwimmt und sich in der Gruppe auflöst. Und sie wird für die Gemeinschaft dann zum Problem, wenn die Ziele eines Menschen im Gegensatz zu dem von anderen stehen. An dieser Stelle bleibt die Frage offen: Ist es sinnvoller auf seine Individualität und seine Ziele zu verzichten, um die Gemeinschaft zu erhalten oder sich der Fesseln der Gemeinschaft zu entledigen, frei zu sein, aber allein dazustehen?