Diesmal eine Kollektion von Liedern und Alben, die ich mit der tiefsten Nacht verbinde und wie sie sich in den jeweiligen Abschnitt meines Lebens einfügen. Von daher gibt es keine Rangfolge, nur eine chronologische Auflistung.
Aphex Twin – Selected Ambient Works Vol. II
Dieses Album enthält viele sehr sanfte Klänge und man kann wunderbar schlafen dabei. Die CD lief aber sehr selten. Viel mehr muss ich auch an das Video „Westworld“ denken, dass dazu existiert. Dazu fallen mir immer die langen Abende am Samstag ein, als ich mich schon ins Bett gelegt hatte, das Licht ausgeschaltet war und nur der Fernseher fahle aber scharfkantige Schatten an der Wande erzeugte. Je später der Abend, desto technoider wurden die Sounds und mein Fernseher blitzte wie ein wildgewordenes Stroboskop. Bis auf „Westworld“ – die MTV Partyzone hatte sich Aphex Twin als Gast eingeladen und es gab den ganzen Abend fast ausschließlich Videos von Aphex Twin. Den Höhepunkt bildete ein ca. 45-minütiger Auszug aus „Westworld“, die Sounds der SAW II kombiniert mit den Bildern von Stakker, auch bekannt als Brian Dougans von Future Sound Of London. Abwechselnd wurde der technologische Fortschritt, die Schönheit der Natur, Verbundenheit zu Tradition und Kultur und auf der anderen Seite die Schattenseiten – Kriege, Atomwaffen, Opfer – dokumentiert. Und immer wenn ich die CD höre, tauchen die Bilder wieder dazu auf – im wahrsten Sinne des Wortes Bilder, da sich das Video aus Zusammenschnitten von Zeitlupen zusammensetzte – als könnten die Klänge von Aphex Twin den normalen Bildfluss bremsen oder einen Moment innehalten lassen und das eben gesehene fassbarer zu machen.
Future Sound of London – Lifeforms
Was bin ich hinter diesem Albem hinterher gelaufen. Ich kannte die Videos von MTV’s „Partyzone“ bzw. „Chill out Zone“. Das war alles zu einer Zeit, wo MTV noch englischsprachig war und – ich will mal so sagen – Musikfernsehen noch ambitioniert war und versuchte von Zeit zu Zeit anspruchsvolle Videoclips zu zeigen. Es hat unglaubliche zwei Monate gedauert, bis ich dieses Album in meinen Händen hielt und es war und ist Gold wert.
Ich kann mich sehr intensiv an die Zeit erinnern, wo ich beim Bund war. Das bedeutete Freitag abend heimkommen und wenn ich schon in der Tür stand, klingelte das Telefon. Was geht? Wer kommt mit? Wo treffen wir uns? Todmüde kam ich dann nachts heim, fiel ins Bett, stellte diese CD auf Endlosschleife und schlief ein. Immer wieder nahm ich im Halbschlaf Ausschnitte der CD war und ich merkte, wie ich versuchte zuzuordnen, bei welchem Titel der CD-Player gerade war. Besonders signifikant ist beim letzten Titel der 1. CD ein oszillierender Ton, der sich erst sehr leise nähernd und dann unglaublich schnell auf einen zuläuft und in Echos zerfällt. Immer wieder habe ich dieses Geräusch im Ohr, als ich nachts munter wurde. Aber wenige Sekunden später schlief ich schon wieder ein. Meistens kam gegen Mittag meine Mutter ins Zimmer fragte, ob ich mit Essen will, ich schleppte mich raus und legte mich gleich nach dem Essen wieder hin.
Auch habe ich das Gefühl, dass mein Orientierungssinn sich veränderte. Montag bis Freitag war ich in der Kaserne und am Wochenende daheim. Ich kann es nicht so richtig begründen, aber zu der Zeit habe ich mich im Bett wie eine Kompassnadel ausgerichtet. Etwas in mir sagte, wie ich mich zu drehen hatte, um meine gewünschte Schlafposition zu erreichen. Und diese Position verschob sich, je länger ich nicht daheim war. Eines nachts wurde ich munter und bemerkte, dass ich keinen Platz im Bett hatte und versuchte mich so hinzulegen, wie ich es gewöhnt war. Etwas lag meinen Füßen im Weg und ich versuchte, es beiseite zu stoßen, aber es ließ nicht bewegen. Von meinen Bemühungen wurde ich langsam munter und stellte fest, dass ich gegen die Wand in meinem Zimmer getreten habe und mittlerweile 90° quer in meinem Bett lag.
B-Zet – Everlasting pictures
Auch ein Lied, was in diese Phase gehört. Wir waren nach der Grundausbildung zu viert auf dem Zimmer, alles Sachsen und da wir drei Leute waren, die aus der Dresdner Umgebung kamen, sind wir meist gemeinsam eingetroffen. Unser vierter Zimmerbewohner kam aus einer anderen Ecke und ist deswegen separat angereist. Wir waren in einer sehr alten Kaserne untergebracht und die Einrichtung war dementsprechend sehr spartanisch. Das gesamte Gebäude war mit großen Bodenfliesen ausgelegt, die selbst im Hochsommer dem Gebäude eine sehr kalte klinische Stimmung verliehen. Ein Tisch mit vier Stühlen, rechterhand 4 Spinde allesamt in waldgrün gehalten und links 2 Doppelstockbetten – so sah das Zimmer von der Tür aus. Gegenüber von der Tür waren 2 Doppelfenster und in dem Mauerstück zwischen den Fenstern stand ein kleines Regal, auf dem die Kaffeemaschine, ein uraltes Radio und ein CD-Player stand. Jeden Abend ging dann die Diskussion los, ob wir Musik zum Einschlafen hören. Manchmal fiel das Ergebnis positiv aus, manchmal nicht. An diesem Abend lief das Radio aber. Ich hatte das Bett unten auf der Türseite und mitten in der Nacht wurde ich munter. Es war totenstill und die Displaybeleuchtung des alten Radios warf einen gespenstischen gelben Schein in den Raum. Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass es halb vier Uhr war. Genau in diesem Moment realisierte ich, dass ein angeschaltetes Radio und die Stille nicht zusammen passten. Als ich noch darüber nachdachte, kroch aus dem Hintergrund dieser weiche warme Sound und verlieh dem Raum gleich viel mehr Wärme und als dann Piano und die Stimme einsetzte und sang „Everlasting pictures from you… right through infinity…“ lächelte ich und schlief wieder ein…
Holger Flinsch – Regayov
Auf dieses Album bin ich durch Zufall gestoßen. Ich hörte nur den ersten Track und wußte sofort, dass ich dieses Album haben muss. Auf den ersten Blick verwunderten mich Titel wie „Rabisnas“ und „Doowkrad“, aber für mich zählt die Musik, nicht der Name der Tracks. Bis zu dem Zeitpunkt, wo ich einen Review dazu schrieb und mir das Album wie eine Reise vorkam. Wieder starrte ich auf den Albumtitel und plötzlich stand die Lösung da „Voyager“ – plötzlich klangen alle Titel so, wie ihre Namen es verrieten und ich freute mich um so mehr, als hätte ich einen kleinen Schatz entdeckt.
Seine markante Bedeutung als Album der Nacht erreichte die CD im Mai 2003, als ich unglaublich schlecht schlafen konnte. Meine Gedanken kreisten die ganze Nacht und konnte auf Biegen und Brechen nicht einschlafen. Ich habe keine großen Erinnerungen, ob die Nächte kalt oder warm waren. Nur die Schlaflosigkeit ist mir in Erinnerung. Also holte ich mir den kleinen Rekorder ans Bett, legte die CD ein und ließ sie laufen. Eine Nacht, zwei Nächte – immer wieder wachte ich auf und hörte einen halben Titel, bis ich wieder in den unruhigen nervösen Schlaf fiel. Die CD ist nach wie vor eine meiner Lieblings-CDs, nur die Erinnerung an diese Nächte bleibt.
Abfahrt Hinwil – Radiowellen
Was macht man, wenn man die Nacht in einem Raum voller Menschen verbringen muss und dabei auch noch selbst schlecht schlafen kann? Entweder man verstopft sich die Ohren, nimmt eine Schlaftablette oder hört Musik. Zur letzten Variante griff ich und wie ich bereits in einem anderen Beitrag erwähnte, verläuft dann mein Schlaf wie eine Welle. Die Musik läuft und ich spüre garnicht, wie ich einschlafe, weil mich die Musik begleitet, während ich immer tiefer in den Schlaf sinke. Solange bis ein externes Ereignis mich langsam wieder auftauchen läßt. Solche Ereignisse können das Ende der CD, Licht in meinem Gesicht oder ein- oder aussetzendes Schaukeln sein. Langsam kehre ich wieder zurück und beginne in diesem Moment zu realisieren, dass ich geschlafen habe und meistens fühle ich mich an diesem Punkt sehr erfrischt und ausgeruht. Ein Blick in meine Umgebung verrät mir, dass alle anderen unbeeindruckt weiter schlafen oder sich unruhig von einer auf die andere Seite wälzen. Und spätestens wenn die Musik wieder läuft, spüre ich wie die Ruhe wieder in mir einkehrt und ich wieder Musik in ihre Tiefen folge. Am Ende der Nacht wird das Erlebnis von mir abgeflacht wahrgenommen, vom Schwanken zwischen wach und schlafen nur das Gefühl, die gesamte Zeit vor sich hin gedämmert zu haben. Es sei denn, man greift einen markanten Punkt heraus – wie zum Beispiel das Sample in „Radiowellen“. Und plötzlich realisiert man, dass dieses Lied nahezu allgegenwärtig war, sei es in der Wach- als auch in der Schlafphase.